Fotografie und Musik

Fotografie und Musik

Ich habe die Tage einen Vortrag über Fotografie und Musik gehalten. Mein Thema: wo können sich Fotografie und Musik gegeseitig ergänzend begegnen? Warum funktionieren manche Kombinationen gut, warum die meisten aber gar nicht? Welche Faktoren machen hier ein passendes Miteinander aus? Und schließlich: gibt es Orientierungspunkte, die es ermöglichen funktionierenden Kombinationen gezielter und nicht ausschließlich im trial-and-error-Verfahren zu finden?

Mediale Charakteristika

Zunächst zu den unterschiedlichen Charakteristika von Fotografie und Musik. Hier mal kurz und knapp tabellarisch zusammengestellt:

MusikFotografie
Sinneskanalauditiv
taktil
visuell
Qualität des medialen Rahmensflüchtig
entwickelt sich in der Zeit
statisch
hat raumartige Qualität
Qualität des Inhaltsungegenständlich
abstrakt
figurativ
assoziativ
Ästhetische Integritäthohes Maß an Selbstkonsistenzhohes Maß an Konsistenz mit außermedialen Dingen

Wir beobachten also große Unterschiede in den Charakteristiken des jeweiligen Mediums. Musik und Fotografie bedienen unterschiedliche Sinnesorgane, entwickeln sich nicht in gemeinsamen Dimensionen, sind inhaltlich größtenteils ganz unterschiedlich fokussiert und genügen daher auch ganz unterschiedliche Kriterien von Form und Materialbehandlung. Kurze Erläuterung zum letzten Punkt: wenn ein Werk ungegenständlich, d.h. ohne Bezug auf ein außermediales Element, ist, dann muss die Stimmigkeit des Werks aus dem Werk selbst kommen. Das ist mit der Selbstkonsistenz hier gemeint. Und tatsächlich steht das ursächlich für den hohen Grad der Komplexität von Kompositionsregel in der Musik.

Zwischenfazit I

Aus den Charakteristika lassen sich kaum Gemeinsamkeiten von Musik und Fotografie ableiten. Ein funktionierendes Miteinander wird daher wohl entweder auf einer wechselseitigen komplementären Ergänzung der Medien bauen, oder ein oder mehrere Charakteristika des einen Mediums müssen zugunsten des anderen aufgeweicht werden. Am häufigsten findet das in der Animation von Fotos statt: Bilder bekommen eine Zeitlichkeit. Aber auch das umgekehrte, dass Musik sich räumlich anordnet, kann eine Grundlage für eine Kombination mit Fotografie werden. Viele multimediale Installationen basieren auf derartigen räumlichen Anordnungen.

Mediale Wirksamkeit

Neben den spezifischen Eigenschaften lohnt sich aber auch ein Blick auf mediale Wirkung. Wie funktioniert denn das Rezipieren und vielleicht auch das Verstehen von Fotografie und Musik?

Über die sprachlichen Eigenschaften von Fotografie ist viel geforscht und geschrieben worden. Am bekanntesten sind dabei die Aspekte von Index und Ikon. In einfachen Worten: Fotografie nimmt Spuren von Welt auf und und ist in der Lage solcherlei Spuren symbolisch oder assoziativ aufzuladen um auf dieser Basis etwas zu erzählen. Nicht ganz so breit gestreut ist die Literatur zu den sprachlichen Qualitäten von Musik. Vermutlich liegt das an dem ungegenständlichen Charakter von musikalischen Inhalten. Vereinzelt gibt es Untersuchungen zu Fragestellungen von Musik als Universalsprache. Dahinter stehen Überlegungen zu emotionalen Wirkung von Musik aber auch zum spirituellem Einsatz in ganz unterschiedlichen Kulturkreisen.

In der Vorbereitung ist mir aber ein anderer Gedanke begegnet, den ich hier ein wenig ausbreiten möchte:

Jacques Lacan beschreibt im Rahmen seiner Arbeit zum Spiegelstadium, dass Kleinkinder in ihrer Entwicklung notwendigerweise an einen Punkt kommen, an dem sie bei einem Blick in ein Spiegel erkennen, dass das Bild dort 1. ihr ICH darstellt, und 2. genau dieses ICH von ihnen selbst getrennt ist. Es ist also eine Erfahrung von Welt als Nicht-ICH, vermittelt über das Bild des ICH. Eine fundamentale Erfahrung des Getrennt-Seins.

Auf eine gewisse Art und Weise ist diese Erfahrung grundegend für ein Weltverständnis, das über Bilder geschaffen wird. Und wir machen diese Erfahrung des Getrennt-Seins jedesmal beim Betrachten von Bildern wieder: wir blicken auf etwas anderes.

Musik scheint hier anders zu funktionieren. Sie wirkt zunächst mal körperlich. In ihrer Zeitlichkeit steht sie in einer Resonanz mit unserem Puls und unserem Atem. Sie wirkt aber auch psychisch: Musik nimmt unmittelbar Einfluss auf unsere Stimmung. Schafft also einen emotional gefärbten Raum. Und auf dieser Basis, der körperlichen und der psychischen Wirkung beginnt Musik sich in uns mit uns zu Verschmelzen.

Wir machen über Musik auf eine gewisse Art und Weise damit eine fundamental andere Erfahrung. Wir erleben das durch Musik vermittelte Andere nicht als das Andere, sondern als etwas, mit dem wir unmittelbar in Kontakt stehen. Ich vermute, dass das auch der Grund für eine Universalität von Musik und vor allem für eine enge Bindung von Musik an spirituelle oder religiöse Riten ist.

Zwischenfazit II

Die Erfahrungen, die wir mit den unterschiedlichen Medialitäten machen, scheinen grundsätzlich unterschiedlich zu sein. Aber auch hier, glaube ich, dass das Funktionieren eines Miteinander von Fotografie und Musik genau von einer solchen Unterschiedlichkeit profitieren kann. Bildbetrachtung um ein Phänomen zu kommunizieren, Musik um die Erfahrung dieses Phänomens zu lenken. Aber auch um Assoziationen und damit den Rahmen der fotografischen Rezeption zu gestalten.

Beispiele von Fotografie/Musik-Kombinationen

Hier will ich die Vortrag genannten Beispiele nicht einzeln beschreiben. Nur soviel zu meinen Beobachtungen:

Es lassen sich unterschiedliche Prinzipien von Kombinationen erkennen:

  • Kombination auf der Basis von Songtiteln
    Sprache wird hier als mediale Brücke verwendet. Der Text legt z.B. Assoziationen aus oder stellt ein narratives Gerüst dar, indem Fotografie dann rezipiert werden kann.
  • Kombination auf der Basis von animierten Bildern
    Das ist die häufigste Praxis. Bilder werden animiert oder in schneller Abfolge zu Zeitreihen kombiniert, die dann wie Film wirken. Bildinhalten korrespondieren oder kontrastieren dann mit musikalischen Rhythmus und Metrum.
  • Kombination auf der Basis von werkimmanenten Eigenschaften
    Etwas, das die Qualität sowohl der Fotografie, als auch der Musik auszeichnet. Ob sich dadurch auch ein mediales Miteinander und nicht nur ein Nebeneinander ergibt, bleibt noch offen. Mein Beispiel (Awoiska van der Molen / Thomas Larcher: The Living Mountain) harrt noch der Uraufführung.
  • Kombination auf der Basis von sozialen Konnotationen
    Einsatz von musikalischen Clichés, die klar und eindeutig zu bestimmten sozialen Phänomenen gehören (Marschmusik, Tanzmusik, aber auch z.B. das „James Bond Motiv“) können mit Bildern funktionieren.

Fazit

Fotografie und Musik bedienen unterschiedliche Kanäle und basieren auf unterschiedlichen Wirkmechanismen. Eine gelungene Kombination setzt diese Unterschiede gezielt ein, bzw. überwindet sie in gezielter Art und Weise. Sich über den ungegenständlichen oder den sozial konnotierten Cliché-Charakter im Klaren zu sein kann bei der Auswahl von Musik zu Fotografie und umgekehrt eine gute Basis darstellen. Je nachdem, ob Bilder animiert werden oder statisch bleiben ist es auch wichtig auf die zeitliche Qualität sowohl von Bildern, als auch von Musik zu achten.

Mein persönliches Fazit: ich habe bereits diverse Versuche und Experimente hier hinter mir. Meine Reise in dieser intermedialen Grauzone ist noch nicht zu Ende.

Fotografie und Musik: ein Vortrag von Jürgen Hurst.
Ist als conceptboard aufrufbar (Zugang als Gast).

This Post Has 2 Comments

  1. Vielen Dank, Jürgen, ganz besonders für das conceptboard. Jetzt ist natürlich meine Leseliste noch länger geworden, und schon der erste Link, dem ich weitergefolgt bin – van der Molen/Larcher – hat das Potenzial, sich weiter zu verlieren. Aber das könnte ein begeistertes sich-verlieren werden, und deshalb freu‘ ich mich schon drauf.

    1. Oh, dankeschön.
      Und sehr gerne. Das freut mich sehr, wenn ich Anregungen weitergeben kann.

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