Was fehlt und was „steht auf dem Spiel“?

Was fehlt und was „steht auf dem Spiel“?

In ihrer aktuellen Ausgabe hat die Camera Austria die Frage gestellt, welche Relevanz die Fotografie hat und wo sie sich einmischen sollte. Ich bin aufgefordert worden dazu einen kleinen Text zu schreiben und meine Sichtweise zu dieser Fragestellung zu formulieren. Nicht für die Camera Austria, nein nein. Für mich und vielleicht die Kolleginnen der Jahresklasse. Die Camera Austria bat um Beschränkung auf 3000 Zeichen. Bei mir wurden es etwas mehr, dafür bitte ich um Entschuldigung.

Vorangestellt sei aber nochmal das Anliegen der Redaktion Camera Austria:

„Wie beeinflusst die zunehmende Flüchtigkeit der (digitalen) fotografischen Bilder unsere Vorstellung von Fotografie? Welche Rolle nimmt sie in unserer Gegenwart ein und welche Verbindungen lassen sich zu ihrer Mediengeschichte sowie zu ihrer eigenen und unserer Zukunft schlagen? Wie wirken sich die veränderten Gebrauchsweisen auf die künstlerische Fotografie aus? Verändert die Pandemie, die uns seit einiger Zeit begleitetet, unser Verhältnis gegenüber den (fotografischen) Bildern und falls ja, in welcher Weise? Was kann Fotografie unter den gegenwärtigen Bedingungen von Klimawandel und dessen absehbaren Folgen leisten? Wie geht sie mit den immer stärker werdenden Nationalismen in einer spätkapitalistischen Gesellschaft um? Welche Rolle kann Fotografie im Rahmen einer Dekolonisierung des Blicks und der Repräsentation einnehmen? Wenn Fotografie als Kulturtechnik von Beginn an dadurch gekennzeichnet war, vorher ungekannte Sichtbarkeiten zu produzieren und mit diesen das Feld des Sichtbaren beständig zu erweitern, zu verkomplizieren und die Möglichkeiten der Teilhabe an Repräsentation und an Sichtbar-Werden zu erhöhen, wie steht es dann um ihre Rolle innerhalb einer Krise der Wahrheitsproduktion? Kann Fotografie die Berücksichtigung von Vielfalt unterstützen? Ist die Idee eines »kritischen Bildes« heute noch denkbar? Wie steht es also um Repräsentation und Kritik? Oder mit anderen Worten: Welche Politik der Bilder müsste erfunden werden?

Diese Fragen danach, was im Rahmen von fotografischen Bildproduktionen gegenwärtig auf dem Spiel stehen könnte oder fehlt zielen nicht darauf die Relevanz von Fotografie zu unterstreichen, sondern herauszufinden, worin sie sich vermehrt einmischen sollte, welche Gewissheiten sie destabilisieren könnte, wie sie also das Wissen über unsere Gegenwart verändern könnte.“ 

aus dem Editorial von Camera Austria 150/151

Die oben aufgelisteten Fragen sind in ihrem Pathos schon bemerkenswert. „der Verlust des kritischen Bilds“, „Erfindung einer Politik der Bilder“, „Wahrheitsproduktion“. In mir regt sich angesichts solch bedeutungsschwangerem Gestus stets ein Unbehagen. Ist die Fotografie tatsächlich ein so wirkmächtiger Faktor, wie die Redaktion der Camera Austria das suggerieren möchte? Oder ist sie es nicht und möchte es aber gerne sein? Oder sollte es vielleicht sein?

Ich weiß es nicht. Aber um eine Sicht darauf zu gewinnen, will ich mal eine  kleine Bestandsaufnahme machen: wo spielen Bilder – ich betrachte mal stehende und bewegte Bilder gleichermaßen – denn in unserer Gesellschaft welche Rolle? Und welche Wirkung schaffen sie, bzw. über welches Wirkungspotenzial verfügen sie. Ich werde das wohl nur anreißen oder streifen können. Glaube aber, dass es mir eine Grundlage schafft, um zu beurteilen, was eventuell fehlen könnte.

Unterhaltung 

Fotografie als vermeintliche Dokumentation der Schönen und Reichen. Manchmal auch der Spott über menschliches Verhalten. Oder als Erzählung im abendlichen TV. In der Unterhaltung wird Fotografie in einer stark fiktionalen Funktion eingesetzt. Mit Bildern werden Geschichten erzählt und Assoziationsräume im Kopf aufgebaut, Musik wird häufig eingesetzt um diese zusätzlich emotional aufzuladen. Bildung, Aufklärung, Treue gegenüber Wahrheit oder auch Dokumentation spielen nur eine untergeordnete Rolle. Werden häufig ganz bewusst weggelassen. Zielgruppe ist die gesamte gesellschaftliche Breite. Mit der Unterhaltung können sehr viele Menschen erreicht werden. Und mit der Funktion der eingesetzten Bilder oder des eingesetzten Medienmixes auch manipuliert werden.

Werbung

Fotografie als Instrument Produkte zu verkaufen. In der Werbung wird Fotografie in einer Funktion der Steuerung von Wünschen und Belohnungen eingesetzt. Mit Bildern werden Bedürfnisse angesprochen, die ein Konsumverhalten, nicht ganz so häufig, aber dennoch beobachtbar, ein soziales Verhalten, auslösen sollen. Ähnlich wie bei der Unterhaltung spielen Sachverhalte kaum eine Rolle. Hier wird alles ausschließlich dem Zweck untergeordnet. Zielgruppe ist auch hier die gesamte gesellschaftliche Breite. Mit Mitteln der Werbung können sehr viele Menschen erreicht werden. Ob sich mit der Breite aber auch ein anderer Zweck erreichen lässt, scheint fraglich (Toscani, Benetton-Werbung). Nicht jedes Thema löst ein Bedürfnis- oder ein Belohnungsmoment aus.

Berichterstattung

Im Journalismus spielen Bilder eine eher untergeordnete Rolle. Fotografie wird als Illustration eines verbalen Sachstandsberichts eingesetzt. Mit Bildern bekommen Reportagen ein visuelles Antlitz, ordnen sich aber dem verbalen Narrationsstrang unter. Sachverhalte spielen die dominante Rolle. Berichterstattung lässt sich von Unterhaltung genau in diesem Aspekt unterscheiden: Unterhaltung setzt auf Geschichten, Berichterstattung auf Fakten. Berichterstattung, die sich von Unterhaltung nicht klar genug abgrenzt, unterminiert das Vertrauen in Berichterstattung an sich. Tatsächlich werden auch Unterscheidungen zwischen Bericht und Meinung nicht immer klar genug herausgestellt. Bilder werden in dieser Grauzone dann nicht nur dokumentarisch oder assoziativ sondern auch suggestiv eingesetzt. Mit Berichterstattung wird eine große gesellschaftliche Breite erreicht. Voraussetzung für ihre Wirkung ist aber das Vertrauen in Berichterstattung.

Kommunikation in Blasen

Gerne auch „digitale Bilderflut“ genannt. Digitale Fotografie ist nicht nur eine neue Technologie zur Aufnahme von Bildern, sondern es ist auch ein Kanal in einen digitalen Raum, den es vor einigen Jahren noch gar nicht gab. Es ist ein Raum der Begegnung, des Kontakts. Und die digitale Fotografie eine Sprache um in diesen Räumen zu kommunizieren. Die sogenannte Bilderflut ist dabei analog zur „verbalen Flut“ in traditionellen Gesprächssituationen zu sehen. Es entsteht hier ebenso ein Strom von Bildern wie bei analogen Begegnungen von Wörtern. Flut wird sie wohl deshalb genannt, weil vor dem Aufkommen der digitalen Räume die Fotografie primär als Medium der Erinnerung oder Dokumentation, und damit eines festzuhaltenden Elements, wahrgenommen wurde. Ich halte den Begriff der Bilderflut für unangemessen. Wir sprechen auch nicht von Wörterflut, wenn wir miteinander reden, selbst wenn dasselbe Instrument, nämlich Sprache, in Büchern und Publikationen verwendet wird. Die Zielgruppe ist einerseits jeweils sehr klein und überschaubar, es wird in mehr oder minder geschlossenen Gruppen kommuniziert und dabei stark das jeweils Identitäre gepflegt. Andererseits ähneln sich die Bilder und ihre kommunikative Funktion über die jeweiligen Gruppen hinweg durchaus. Mutmaßlich weil Kommunikation an sich musterhafte Züge aufweist. Die Kommunikation in Blasen hat – das erleben wir aktuell – ein hohes Aktivierungspotenzial. Das liegt an den identitären Zügen solcher Gruppen. Diese sind geeignet einen ausgesprochen festen Zusammenhalt stiften. Momente, Ereignisse, die diesen Zusammenhalt in Frage stellen und damit gefährden könnten, werden als Bedrohung wahrgenommen und führen zu Aktivismus. Bilder und Texte funktionieren hier als kommunikative Elemente zur Aktivierung. Ein Faktenbezug spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle.

Überwachung und Sensorik

Fotografie dient dazu etwas festzustellen. Was dabei festgestellt wird, hängt vom Einsatz ab. Als Überwachung von privaten Räumen oder öffentlichen Plätzen die Feststellung, wer sich dort aufhält. Als Verkehrsüberwachung um Geschwindigkeit zu regulieren, Verkehrsströme zu lenken oder Übertretungen zu ahnden. Als Sensorik beim autonomen Fahren oder Fliegen. In der Überwachung werden gezielt oder auch massenhaft Bilder zur Beweissicherung erstellt. Der Zugriff ist in aller Regel gesetzlich geschützt. Wenn ein Zugriff erfolgt, spielt außerdem die Möglichkeit oder Fähigkeit der Korrelation mit anderen Daten eine entscheidende Rolle. Das Bild an sich ist nur eine visuelle Repräsentation z.B. einer Person. Erst die Verknüpfung mit anderen Daten, beispielsweise mit Personalien macht das Überwachungsergebnis zu einer möglichen Gefährdung einer Person. Bei Überwachung und Sensorik ist die breite Bevölkerung weniger als Konsument, sondern als Gegenstand des fotografischen Akts betroffen. Bemerkbar wird das seltener im Moment des eigentlichen Akts sondern, sondern nach einer Auswertung der bei der Überwachung aufgenommenen Bilder.

Kunst und Kunstdokumentation

Fotografie dient als Ausdrucksmittel für künstlerische Positionen. Sie trägt zur ästhetischen Formulierung eines Standpunkts bei. Im Falle von künstlerischer Dokumentation dient sie auch der Feststellung und hat manchmal einen beschreibenden und weniger bewertenden Charakter. Aber auch dort wird häufig genug eine Position eingenommen und die Fotografie zur Suggestion eingesetzt. Die Zielgruppe ist klein. Zeitgenössische künstlerische Fotografie wird i.d.R. nur von einem exklusiven Publikum, vornehmlich von Personen, die sich selbst aktiv darin bewegen, wahrgenommen. Es ist eine Filterblase. Die Wirkung, die sie erzeugt, ist überschaubar und bleibt im Regelfall in der Blase selbst verhaftet. Auch da, wo die Wahrnehmung die übliche Blasengrenze überschreitet (Salgado, Burtinsky) führt sie nur selten zu veränderten Zuständen.

Was fehlt und was „steht auf dem Spiel“?

Besser: was ich mir wünsche. Das ist nicht ganz so überhöhend wie „was auf dem Spiel steht“. Ich wünsche mir ein stärkeres Verlassen auf „visual literacy“. Fotografie ist ein wunderbares Medium um zu beschreiben oder zu erzählen. Ich wünsche mir eine Bildproduktion und keine Wahrheitsproduktion. Ich wünsche mir eine Fotografie, die sich aufrichtig für die Welt und was der Fall ist, interessiert, und nicht um die Vermittlung einer spezifischen Deutung dieser Welt. Ich wünsche mir eine Fotografie, die mich als Betrachter einbezieht und ernst nimmt.

Das bedeutet: wir alle, vor und hinter der Kamera, vor und hinter den Displays, Büchern oder Magazinen, wir alle bauen auf eine Kompetenz im Lesen und Einordnen von Bildern. Ich glaube nicht, dass von der Fotografie isoliert etwas Existentielles abhinge und damit „auf den Spiel“ stünde. Dafür bedarf es dann doch einer breiteren und insbesondere einer multi- und intermedialen Betrachtung. Dennoch kann die Stärkung einer visuellen Kompetenz unsere Urteilsfähigkeit in einer vermittelten Weltwahrnehmung und damit unsere Autonomie in einer freien und vielfältigen Gesellschaft nur stärken.

This Post Has One Comment

  1. Nach einigen Tagen des Nachdenkens noch ein Gedanke ergänzt:

    Die Camera Austria gibt es seit den späten siebziger Jahren. Was hat sich seither in der Fotografie verändert?
    Ich glaube das Thema „Kommunikation in Blasen“ und ihr Potenzial zu mobilisieren. Das gab es damals noch nicht. Hat aber heute eine Wirkung, die das Potenzial zur gesellschaftlichen Erschütterung in sich trägt. Das ist in den Staaten aktuell an Trump ebenso ablesbar, wie bei uns an den sogenannten Querdenkern.

    Vielleicht steht hier etwas auf dem Spiel.

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