Wie schnell wir doch Ereignisse, Um- oder Gegenstände mit nostalgischen Augen betrachten. Ich erinnere mich an einen Besuch im Heinrich-Strobel-Studio des SWF zu Beginn der 80er Jahre, wie ich staunend vor Mischpult, Tongeneratoren und Bandmaschinen stand und mit offenem Mund das Wirken einer elektroakustischen Avantgarde eingeatmet habe. Für uns in der Provinz unerhörte Klänge. Ja, Röhren waren bereits out, Transistoren hatten sie ersetzt, aber die Zeiten von Stockhausen, Kagel et al. waren bereits damals passé. Trotzdem, wir hatten im LK Musik einen Synthesizer (ohne MIDI – gabs das überhaupt schon?) und ohne Tastatur und ich hatte ein Stück mit Live-Elektronik zu einem Gedicht von Jandl für eine Aufführung geschrieben. Eine Art Musique Concrète zur konkreten Poesie.
Tage nach der Aufführung wurde ich beim Bäcker angesprochen mit der Bitte doch wieder zu hörbaren Vorspielen zurückzukehren („snägschd mol machener aber wieder a richtigi müssigg“ – bitte mit kratzendem „ch“ nachempfinden – und die Betonung immer(!) auf der ersten Silbe). Es war vielleicht doch ein bisschen ein Happening in der verschlafenen südbadischen Provinz. Eine Aufnahme des Konzerts damals habe ich leider nicht. Nur noch meine Partitur (quasi meine „Mondriane“) Aber das Gefühl oder das Bedürfnis experimentelle Klänge zu erzeugen ist gerade wieder präsent.
Vor einigen Tagen lief im Deutschlandfunk ein Beitrag zum Siemens-Studio für elektronische Musik, der mich wieder in diese Stimmung versetzt hat.Und nun liegt die Diss von Stefan Schenk darüber auf meinem Schreibtisch und ich kann mich gut darin rein versenken. Und mich gut darin orientieren. So als ob man in Kindheitserinnerungen schwelgte.
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ernst jandl – ohren im konzert
der pianist läßt seine finger in die flasche rinnen, die ein klavier ist, und die flasche spritzt die finger als kölnischwasser in die ohren-galerie. die ohren aber haben keine feinen nasen. daher lassen sie das kölnischwasser in die ohrenständer rinnen, die innen hohl sind bis zu den plüschpolstern, auf denen sie als tiefe brunnen sitzen, und gähnen einander in den mund.
