Welche Funktion hat Fotografie für Dich?
Sie verbindet mich mit dem Hier und Jetzt. Hier und Jetzt meint damit weniger eine Raumzeitkoordinate, es meint einen Zustand. Einen Zustand, der eine Kombination aus Ich und meine Umgebung bezeichnet. Inklusive Wetter, inklusive sozialen, vllt. auch politische Bedingungen und inklusive kognitiver, emotionaler und körperlicher Disposition. Die Welt um mich herum und ich. Jetzt gerade. Das ist mein Moment der Fotografie. Fotografie ist für mich eine Achtsamkeitspraxis. Unbeabsichtigterweise, das gebe ich zu. Es kam halt einfach so.
Fotografieren schafft so Verbindung und Nähe. Mit dem Blick durch den Sucher und den Klick auf den Auslöser entsteht ein Moment der Nähe. Orte, an denen ich nicht fotografieren darf, haben es schwerer als solche, an denen ich das darf. Ich fühle dabei irgendwie separiert. Das war z.B. neulich so, als ich eine Kunstsammlung besucht hatte, dort aber keine Bilder machen durfte. Es fehlt dabei etwas Wichtiges. Ich war da, ich habe es durchaus genossen, aber ich war irgendwie nicht in Kontakt.
Das bringt mich zur nächsten Frage: was machst Du dann mit den Bildern, den Ergebnissen dieses doch eher intimen Prozesses?
Zunächst sichere ich alle Negative. Manchmal auch – ich fotografiere in aller Regel sowohl RAW, als auch JPG – die JPGs aus der Kamera. Ich mache das nicht immer, aber ab und zu nutze ich gerne die LEICA-Looks, die die Kamera erstellt, und dann werden auch die gesichert. Häufig bearbeite ich die Negative im Sinne einer Bildentwicklung. Also: Kontraste, Schatten, Lichter, Geradestellen, Schärfen und Entrauschen. Die Basics eben. Manchmal drucke ich sie dann auch aus, einfach um sie in Händen halten zu können. Nicht hochwertig, eher als Draft auf 120gr. Rolle und dann grobmotorisch selbst ausgeschnitten. Diese liegen dann ein paar Tage lang und ich kombiniere sie miteinander. Wenn es aber kein Projekt gibt, dann landen sie auch recht schnell auf einem Stapel, den ich als Notiz- oder Einkaufszettel verwende. Zweitverwertung quasi.
Wenn sie also fotografiert sind, dann ist der intime Moment auch abgeschlossen. Die Bilder werden nicht mit einer besonderen Sensibilität behandelt.
Ist Fotografie für Dich etwas, das für Dich Erinnerungen bewahrt?
Eher nein. Bilder aus meiner Jugendzeit berühren mich nicht besonders. Ich erinnere mich selten an Orte oder Räume in den Bildern. Bilder von nahestehenden Menschen berühren durchaus, die erkenne ich wieder, Orte oder Ereignisse eher selten. Das liegt auch daran, dass alte Abzüge oder Negative kaum zusätzliche Informationen tragen, die mir Hinweise zur Einordnung geben. Wann ist das entstanden? Wo ist das entstanden? Ich bin nicht gut im Dokumentieren und daher fehlen in aller Regel diese Metainformationen zu alten Bildern. Bilder aus den vergangenen 12 Jahren sind ein wenig anders. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mir einen digitale Kamera gekauft hatte. Dort entstanden dann allein aus dem digitale Format heraus passende Metadaten. Das erleichtert das Wiedererkennen. Aber trotzdem schwelge ich beim Bilderbetrachten weniger in Erinnerungen, als vielleicht eher in interessanten Motiven, in Spannungsbögen, die ein Bild aufmacht oder in Kompositionen.
Wenn Du mit Bildern etwas machst, spielt dann das Dokumentarische oder Narrative eine größere Rolle?
Fotografie existiert ja nur in der Abbildung eines Gewesenen. Das heißt: Dokumentation im Sinne von „da war was“ ist in die Fotografie eingeschrieben. Das ist aber weder notwendigerweise das, was ein Fotograf mit einem Bild meint, noch jenes, was eine Betrachterin darin versteht. Meist ist es so, dass ich beim Fotografieren etwas ganz anderes empfinde als dann auf dem Foto von mir selbst wiedererkannt wird. Und sehr selten ist es dann so, dass jemand beim Betrachten ähnliches sieht oder empfindet. Das Lesen eines Bildes erfolgt immer im Rahmen den die je eigene Vorbildung und Disposition aufbaut. Und das Verstehen eines Bildes ist dann eine Kombination von Bildinhalt und dem assoziativen Rahmen, den der Inhalt beim Betrachten aufruft.
In Projekten spielt das Dokumentarische nur eine untergeordnete Rolle. Eine kleine Ausnahme stellen vielleicht die medienreflexiven Projekte, Non è la realtà, Zero Shift und die Sensorselfies dar. Dort geht‘s um ein spielerisches Untersuchen, was denn ein digitales Foto in sich trüge. Tatsächlich wird aber auch hier nichts im Bild dargestelltes dokumentiert, sondern eher bislang unsichtbare Eigenschaften der digitalen Bilder sichtbar gemacht. Und das passiert im erklärten Geist des objektivierbar machens. Unterscheidet sich also von der ansonsten doch eher subjektiven Blickweise in meinen Bildern. In diesem Sinne tragen diese Arbeiten was Dokumentarisches.
Generell: die Schwarz-Weiß-Trennung in dokumentarisch vs. inszeniert oder narrativ wird der Komplexität dessen was Fotografie ist und kann nicht gerecht. Vielleicht passt die Qualifizierung in „hier wird etwas objektivierbar dargestellt“ oder besser „hier wird auf Evidenz hingewiesen“ oder „hier spielt der subjektive Blick (von Autor und von Betrachter) die Hauptrollle“ eher zum Medium.
Was passiert mit Deinen Arbeiten nach der Bearbeitung und Ablage?
Eine gute Frage. Also klar: ich archiviere in jedem Fall die digitalen Negative, manchmal auch die JPGs, die die Kamera macht. Taggen tue ich nicht, dafür nutze ich mittlerweile Excire als DAM-System. Aber was passiert danach oder damit?
Ich habe bislang noch nicht „meine Präsentationsform“ gefunden. Ein Buch oder auch ein Fotofilm erscheint mir oft zu linear, eine Wand zu flach. Das Einzelbild zu isoliert. Bilder machen etwas miteinander. Nicht immer, aber oft. Sie verbinden sich zu einem größeren neuen Bild oder sie bauen Spannungsbögen auf. Oder sie regen zum oszillierenden Hinsehen an. In jedem Fall verändern sich die Assoziationsräume beim Betrachten von zwei oder mehr Bildern im Vergleich zu einem Bild. Mein Thema, die assoziative Kraft von Bildern, zeigt sich vielleicht auch darin, dass ich nichtlineare oder vernetzte Strukturen faszinierender finde. Für mich ist dieses Spiel mit den Assoziationsräumen beim Betrachten schon wichtig. Es ist nicht wichtig, welche Assoziationsräume das sind. Als Autor mag ich nicht belehren, was Betrachter in meinen Bildern sehen ist ihnen selbst überlassen. Aber es freut mich aber schon, wenn ihnen beim Betrachten dieser Mechanismus des kognitiven Einrahmens und damit ihr ureigener Beitrag zum Bildverstehen ein klein wenig bewusst wird. Kleiner Metagedanke dazu noch: derartige Bildkombinationen sind selbst aber auch erstmal nur Präsentationsformen und noch keine „eigenständige Arbeit“. Es ist immer noch Rohmaterial, das in einer Arbeit verwendet werden kann.
Es gibt eine ganze Liste von Projektideen und Gedanken zu möglichen Arbeiten. Im Moment fehlt mir aber die Motivation eines davon aufzugreifen und auszuarbeiten. Ich denke ab und an darüber nach wieder eine Ausstellung vorzubereiten. Diesmal alleine, aber das ist auch ein nicht zu unterschätzender Aufwand. Wäre aber ein Motivator etwas aufzugreifen und fertigzumachen. Bis dahin: digitales Archiv, skizzenhafte Drucke, ab und an mal ein selbstgedrucktes und geringtes Buch. Mehr passiert da nicht.
Die Überschrift Deines Portfolios lautet „Ich mache keine Kunst“. Sie irritiert und vielleicht provoziert sie auch. Was genau bedeutet diese Überschrift?
Ich muss schnunzeln. Auf der einen Seite beginnt die Darstellung der Fotoarbeiten mit einer Intervention, macht also den Kopf auf. Auf der anderen Seite ist er mehr als eine plumpe Provokation. Er trägt eine ernstgemeinte Abgrenzung in sich. In der Fotogruppe, in der ich mich die zehn Jahre bewegt habe, war Fotografie ein Teil eines künstlerischen Prozesses. Ich habe für mich darin immer eine Diskrepanz verspürt. Ein gap, das ich nie wirklich benennen konnte. Mit ein wenig Abstand verstehe ich das ein bisschen besser: es ist der in der ersten Frage benannte Moment, was Fotografie für mich denn sei: nämlich ein sehr persönlicher, vielleicht ein intimer Moment des Schauens und des Auslösens. Einen Moment, den ich nicht teilen kann oder mag. Die Ergebnisse daraus zu präsentieren hieße einen losen unzusammenhängenden Prozess, ein (achtsames) Flanieren zum Werk zu erheben. Das passte nicht.
Der Prozess des Kunstmachens ist andererseits einer, der mit dem Anfertigen eines Werks zu tun hat. Es entsteht etwas, das einen Gedanken trägt und diesem Form schenkt. Und das will dann auch gezeigt werden. Kunstmachen, das war in den vergangenen Jahren immer für eine Ausstellung produzieren. Das was dann entstanden ist, war dann aber immer etwas, bei dem Fotos zwar verwendet wurden, bei dem aber die Fotografie, also mein persönlicher Moment der Fotografie keine Hauptrolle spielte. Ob es eine Licht-Video-Objekt-Installation war, Fotofilm-Schnipsel bei der Musik eine große Rolle spielte oder die fast skulpturalen Bildobjekte der Dissolving Structures, Kunst war immer das Objekt, das dann zeigbar war. Und ja, Fotos waren Teil davon. Die Arbeit, das Werk war aber immer etwas eigenständiges, über Fotografie hinausgehendes..
Das in der Frage angesprochene Portfolio ist nun aber eine Dokumentation meiner Fotografie, und irgendwie fühle ich mich da eben nicht als Künstler.
Abschließende Frage: neben dem eingangs besprochenen Moment des Fotografierens, was ist das Thema, das Dich an Fotografie besonders interessiert?
Das ist, ganz klar, die Frage nach dem Mechanismus, den Fotografie als Medium ausmacht. Fotografie benötigt Welt, Autor, Technik und Betrachterin. Ein Foto hat zwar Inhalt, trägt selbst keine Bedeutung. Die Bedeutung entsteht erst im Kopf der Betrachter. Und diese Bedeutung ist auch eine je individuelle. Auf der anderen Seite entsteht ein Foto auch immer aus den kognitiven und emotionalen Bedingungen einer Autorin. Das kann sich durchaus im Bildinhalt niederschlaten. Ob es von Betrachtern dann so wahrgenommen wird, das hängt eben von deren mentalen Assoziationsrahmen ab.
Also: was beinhaltet ein fotografisches Bild denn wirklich, wie kommt es da rein und welche Wirkung löst es aus? Welche Rolle spielt dabei Welt, welche Rolle der Autor, welche Rolle übernimmt die Maschine und welche die Betrachterin? Das ist mein fotografisches Grundthema.
St. Saturnin-lès-Apt im Juli 2025
