Rekalibrieren

Rekalibrieren

Erste Sätze werden ja stets hochgepriesen. Mir fällt gerade kein mitreißender ein. Und doch will ich mich nicht vom Notieren abhalten lassen. Genau das ist ja dieses Blogs zentraler Zweck: Notizen festzuhalten (Notiz an mich: vielleicht sollte ich ihn von „Bilder und mehr“ zu „Notate“ umwidmen). Nun gut, ich wollte eigentlich mit dem Satz anfangen, dass der Ausnahmezustand nun Spuren zeige. Aber das ist es nicht: erstens hinterlässt er noch nichts, weil er immer noch andauert und eine Hinterlassenschaft das Dahinscheiden impliziert, und zweitens sind es nicht Spuren, sondern Konsequenzen, die sich einstellen. 

Kürzlich habe ich von einer Freundin einen Artikel zugesandt bekommen, in dem eine Art Pandemie-induzierte Demenz beschrieben wurde. Ja, das kann ich vollumfänglich bestätigen. Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen sind dabei noch Erscheinungen, die mit Augenzwinkern begleitet werden. Im Sprechen den Faden verlieren oder keinen zusammenhängenden Artikel mehr lesen zu können sind da wohl die lästigeren und beunruhigenderen Symptome. Das ganze wurde auf die Reizarmut unseres Alltags zurückgeführt. In meinen Worten: physisches Erleben, Präsenz und der Einsatz von mehr als zwei Sinnesorganen, hat wohl doch einen spürbaren Effekt auf die Plastizität unseres Gehirns („Hab’ ich das nicht schon immer gesagt? – Ok, Boomer“). 

Nur, wie der Falle des fortschreitenden physischen und mentalen Abbaus begegnen? Ich bin nun seit 14 Tagen aus dem Verkehr gezogen. Hatte auch wirklich Mühe in diesen 14 Tagen wieder auf die Beine zu kommen (im Wortsinne) – und muss, Nein: ich möchte mich gerne besinnen. Krankheit ist auch ein Ausdruck. Eine Kommunikationsform. Mir kommuniziert meine aktuelle Situation: Holzweg! Und natürlich ist es meiner Gesundheit egal, ob es mehr die Umstände oder dann doch mein Verhalten sind, die hierzu beigetragen haben. Es gilt sich zu besinnen und das Eine oder Andere einfach anders zu machen. Nur wie (einfach ist wohl doch nicht)?

Ein Jahr Ausnahmezustand haben eben doch Spuren hinterlassen (ich muss meinen ersten Absatz doch revidieren): der Bewegungsradius ist auf dreistellige Meter geschrumpft. Arbeit und Nicht-Arbeit zur Ununterscheidbarkeit degeneriert. Der Gang zum Supermarkt gleichermaßen Abenteuer wie Höhepunkt. Durchhalten das Motto, sowohl was die äußeren Umstände als auch inneres Befinden betrifft. Und aus dieser Starre gilt es rauszukommen. Das erfordert ein Rekalibrieren. Ein Neu-Bewerten und auch ein Sich-Distanzieren von Glaubenssätzen. 

Besonders schwierig im beruflichen Alltag (ist irgendwie auch der einzige, der noch geblieben ist). In ca. zehn Tagen geht es in den alten Bahnen wieder los. Jenen, die zuletzt ausgesprochen abschüssig waren. Natürlich erzeugen diese Bahnen reflexartig Standpunkte und Verhaltensmuster. Dazu Distanz aufzubauen wird schwer. Wird auch deshalb schwer, weil Gefühle mit im Spiel sind. Unerfüllbare Erwartungen, eigene, wie auch fremde. Ängste und Ärger. Äußere Umstände, die weit weg davon sind, ein Arbeiten zu ermöglichen, das auch funktioniert. Was es seit Monaten nicht mehr tut: funktionieren. Und es kann auch gar nicht funktionieren. Egal, was ich tue. Und genau dazu gilt es Distanz zu finden. Hier muss ich mich rekalibrieren. 

Drückt mir die Daumen.