Kunst als Kategorie

Kunst als Kategorie

Ich habe gestern rückblickend meinen letztjährigen Endjahresbeitrag hervorgekramt und überlegt, was sich denn aus jenen Gedanken heraus ergeben hat. Manches hat sich dabei weiterentwickelt, manches ist auf der Strecke geblieben. Und wiederum anderes hat sich durchaus immer wieder in meinen Kopf geschlichen, ist aber bislang nicht verschriftlicht worden. Dazu gehört Punkt 8 der dortigen Liste: Was ist eigentlich Kunst? Ist das Kunst, was ich so mache? Oder doch nicht? Ich denke es macht Sinn das mal ein wenig aufzuschreiben. Nicht zuletzt um es auch für mich zu sortieren.

Vor einigen Jahren bin zum ersten Mal über diese Frage gestolpert. Seinerzeit habe ich mir notiert:

Kunst

  • braucht etwas Inhaltliches,
  • zeigt eine Ästhetik,
  • und trägt etwas Einzigartiges in sich.

Inhaltlich: denn ein Werk muss ein Thema haben. Das muss nicht immer verbal ausdrückbar sein, aber sinnfrei ist für mich nicht künstlerisch. Ästhetisch meint nicht „schön“, sondern durchgearbeitet. Authentisch scheint mir hierzu übrigens ein Gegensatz. Authentisch ist ungefilter, ganz im Impuls und in der ursprünglichen unverfälschten Natur verhaftet. Und einzigartig bedeutet, dass eine persönliche, eine künstlerische Handschrift da sein sollte. Dass es kein industriell gefertigter Gegenstand, sondern ein individuell gestalteter ist. Künstler ist dann, wer als Autor Werke schafft, die den obigen Kriterien standhalten.

Und… passt das nun? Immer? Oder doch nicht? Natürlich muss eine solche Definition – mindestens im Sinne der Vollständigkeit – scheitern. Die Kriterien sind alle zusammen weder notwendig noch hinreichend.

Was bedeutet das für mich? Mache ich Kunst? Bin ich Künstler? Keine Ahnung. Thematisch, ästhetisch und einzigartig… ja. Glaube ich schon. Aber sind das nicht auch meine Projektpläne? Meine Blogbeiträge und Gedanken? Oder auch der Artikel in der FAZ, den ich heute früh gelesen habe? Es fehlt also doch noch etwas.

Ich habe spaßeshalber die Definition für Kunst danach mal anders zugespitzt: Kunst ist, was auf dem Kunstmarkt angeboten oder gehandelt wird. Der Kunstmarkt selbst ist gegeben durch Auktionen, Galerien und Kunstmessen. Ich selbst bin also kein Künstler: keine meiner Arbeiten wird dort gehandelt, noch nicht mal angeboten. Nichtsdestotrotz, die Definition macht klar, dass es nur ein Ausdruck dafür ist, dass ich noch keine befriedigende Definition hatte.

Im Laufe der letzten Monate hat mich allerdings ein anderer Gedanke, ein anderer Aspekt immer wieder beschäftigt. Er kommt aus einem politischen oder besser einer weltanschaulichen Sichtweise: Für mich ist Vielfalt, Buntheit ein ausgesprochen hohes Gut. In ihr steckt der Gedanken der Freiheit ebenso wie derjenige der Toleranz. Beides Grundlagen des Guten Lebens. Mindestens für mich. Beides Grundlagen unserer Demokratie. Und beides Grundlagen unseres Rechtssystems. Eine Bedrohung dieses Grundwerts findet immer dann statt, wenn eine Vereineitlichung droht:

  • Vereinheitlichung des Denkens
  • Vereinheitlichung des Handelns
  • Vereinheitlichung der Angebote
  • Vereinheitlichung der Umgebung

Jede dieser Vereinheitlichungen läuft auf eine Verarmung heraus. Tendenz: ideologisch, im Charakter autoritär und im schlimmsten Fall totalitär.

Tatsächlich ist es gar nicht so einfach der Vereinheitlichung entgegen zu treten. Man muss schon zulassen können, dass anderes Denken, anderes Handeln auch akzeptabel ist. Nicht um jeden Preis, aber wir haben uns schließlich in den vergangenen 200- 300 Jahren einen Rechtsrahmen entwickelt. Einen Rechtsrahmen, der Vielfalt zulässt und dennoch das gedeihliche Miteinander dabei schützt.
Das Zulassen von Vielfalt erfordert aber auch die Bereitschaft sich mit Komplexität auseinanderzusetzen. Einfache Wertungen, eindeutige Bedeutungen, das beliebte Statement: „So was geht gar nicht.“ passen nicht zur Vielfalt. Sie passen zur Vereinheitlichung auf die je eigenen Sichtweise. Gelebte Akzeptanz von Vielfalt bedeutet auch mit Mehrdeutigkeit, mit Ambiguität, ja mit Widersprüchlichkeit umgehen zu können. Sie aushalten zu können. Die notwendige Fähigkeit dazu ist die Ambiguitätstoleranz.

Ich komme von meinem gedanklichen Ausflug wieder zurück. Was ist eigentlich Kunst? Und worin unterscheidet sich Kunst von anderen Formen des Ausdrucks? Und was hat das mit meinem Ausflug zu tun? Ich versuche das mal mit ein paar Beispielen zur Abgrenzung zu illustrieren:

Erstes Beispiel: ist mein Projektplan, den ich regelmäßig im Büro (fort-)schreibe, Kunst? Sicher nicht. Selbst wenn ich ihn – was definitiv der Fall ist – mit großer handwerklicher Fähigkeit erstelle, dabei auch viel Kreativität aufbringe, vielleicht sogar ästhetische Prinzipien einfließen lasse, ja, für andere eventuell erkennbar ist, dass er meine Handschrift trägt. Er ist keine Kunst. Er hat einen eindeutigen Zweck: nämlich eine Vielfalt von möglichen Wegen und Zielen im Projektvorgehen so gut es geht auf genau einen Weg und ein Ziel einzuschränken. Er hat den Zweck zu vereindeutigen.

Zweites Beispiel: ist der Artikel, den ich heute früh in der FAZ gelesen habe, Kunst? Vielleicht, vielleicht nicht. Vermutlich eher nicht. Vermutlich ist es so, dass die meisten Artikel über einen Sachverhalt aufklären. Einen Umstand so klar und so eindeutig es möglich ist, darstellen. Gutes journalistisches Verhalten stellt dabei sicher, dass die Darstellung unzweifelhaft belegbar ist. Sofern sie Kommentare sind, geht es um den persönlichen Standpunkt des Kommentators, um genau seine ureigene Sichtweise. Ich lese nun den Artikel und dabei ergibt sich aus der Vielzahl der Möglichkeit von Interpretation eines Umstands eine – entweder sachbezogene oder meinungsbezogene – Reduktion. Es entsteht eine klare Botschaft des Autors.

Drittes Beispiel: sind denn die Aktionen des Zentrums für politische Schönheit Kunst? Vielleicht sind sie das. Vielleicht aber auch nicht. In meinen persönlichen Sichtweise ist es keine Kunst. Es geht es hier immer um die Artikulation einer spezifischen Weltsicht verbunden mit einem spezifischen Wertekanon. Es ist in jedem Falle eine politische Aktion und als solche ein wichtiger Beitrag. Keine Frage. Aber ist es Kunst? 2015 haben Pegidaanhänger auf einer ihrer Demonstrationen Galgenattrappen für Merkel und Gabriel aufgebaut. Würden wir das auch als Kunst durchgehen lassen? Die Urheber machen einen satirischen Ansatz für sich geltend. Aber: auch das ist ein Werk, das mit einer spezifischen Weltsicht und einem spezifischen Wertekanon verbunden ist. Und wie verhält es sich mit der Guillotine von TTIP Gegnern mit der Aufschrift „Pass blos auf, Sigmar!“. Alles Werke (wenn man es als mögliche Kunst betrachten wollte), welche die Vermittlung einer Botschaft bezwecken, sich nicht durch unterschiedliche Auslegungsfähigkeit auszeichnen. Man kann sicherlich der Meinung sein, das sei Kunst. Es ist dann aber ein anderer Kunstbegriff.

Was könnte nun Kunst in Abgrenzung zu diesen Beispielen auszeichnen? Die Vielfalt in den möglichen Botschaften. Die Ausleg-, die Interpretationsfähgikeit. Kurz: die Ambiguität. Das wäre für mich mittlerweile ein wirklich gutes Kriterium für Kunst: Kunst ist mehrdeutig. Nicht beliebig, und damit ohne Bedeutung und auch nicht eindeutig. Kunst trägt den Charakter der Kontingenz, der Möglichkeit in sich. Damit bedarf die Interpretation oder auch die Wahrheit, die sich durch Kunst manifestiert, der Betrachter oder der Leser. Die Botschaft des Werks entsteht im Moment der Betrachtung durch Autor und Betrachter gemeinsam. Mit jedem möglichen Betrachter eine mögliche andere.

Als Kriterium ist das sicher nicht hinreichend. Für mich unterdessen jedoch notwendig. Kunst muss einen kontingenten Charakter haben. Mit einer eindeutigen Botschaft des Autors wird sie zum Bericht oder zum Kommentar. Erst im Entstehen der Bedeutung in der Betrachtung wird ein Werk möglicherweise Kunst.

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