Während ich derzeit intensiv Bilder und Notizen aus den Tagen der Werra-Tour sichte, manches dazu recherchiere und eifrig am Buch weiterschreibe, beschäftigt mich eine Frage wieder intensiver: wofür fotografiere ich eigentlich? Welches Bedürfnis steckt dahinter und wie wird dieses erfüllt?
Von der Tour gibt es so ca. 300 Bilder, die so nebenbei entstanden sind. Und auch wiederum nicht nebenbei. Nebenbei weil, entweder sitzt Du auf dem Rad, gleitest oder kämpfst, je nachdem, oder Du hast Zeit Dich mit der Umgebung oder Menschen zu beschäftigen, die Du fotografieren willst. Beides zur selben Zeit geht nicht. Und dann doch nicht nur nebenbei, weil es ja kein Zufall ist, dass ich die Kamera dabei habe. Aber das führt ein wenig zu weit ins Unbewusste rein.
Was taugen aber Bilder, die nur en passant entstehen? Und was mache ich dann mit denen? Warum mache ich nun ein Buch daraus und geben das diese Fotografien überhaupt her? Wieviel einer Disposition beim Fotografieren lässt sich im Bild wiederfinden? Lässt es sich erkennen, wenn ich in Hektik war, weil die Kollegen schon kaum noch am Ende des Wegs zu sehen waren? Und wie unterscheiden sich Bilder, die die Kollegen gemacht haben von meinen (rhetorische Frage, ich kenne die leider nicht)?
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Zuviele Fragen. Reduzieren wir das mal auf die Eingangsfrage: warum fotografiere ich überhaupt? Oder besser gefragt: wofür? Mache ich das um mich zu erinnern? Oder weil ich etwa ein konkretes Fotoprojekt verfolge? Oder einfach, weil ich Spaß an der Digitaltechnik habe? Ich vermute es gibt noch weitaus mehr Gründe zu einer Kamera (oder ersatzweise zu einer Kamera-App) zu greifen. Ich will hier gar nicht auf den nur scheinbaren Unterschied zwischen den vermeintlich Könnenden und Dilettierenden („Ich knipse nicht – ich fotografiere – und das sieht man an meinen Bildern“) heraus. Gestern bin ich erst wieder über einen Artikel gestoßen, indem der Autor – sekundiert durch eine begeisterte Menge von kommentierenden Profis – die Frage stellt ob der geneigte Leser denn im M, A, S oder P-Modus fotografiere. Es hat mich ein wenig gekostet hier nicht im Unmut meine präferierten Einstellungen kundzutun. Obgleich es mir ja um meine Einstellung geht; aber natürlich gibt es Zusammenhänge zwischen den Einstellungen der Kamera und der Einstellung des Fotografen.
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Wenn ich darüber nachdenke, was mich in den allermeisten anderen Situationen zum Fotografieren bewegt, dann ist es ein spezifisches Moment, das ich beim Schauen durch einen Sucher erlebe: es ist ein Moment mich ebenso intensiv wie exklusiv der Welt, die ich vor der Linse habe, zu widmen. Wenn ich zur Kamera greife, dann bewege ich mich aus dem Rahmen „Welt“ heraus und in den Rahmen „Bild“ hinein. Meine Wahrnehmung konzentriert sich auf das Sehen, der Rest der Sinneseindrücke wird leise geschaltet und blendet sich irgendwie in den Hintergrund. Dabei passiert dann etwas Widersprüchliches:
Zum einen schaffe ich Distanz zwischen der Welt und mir. Ich werde zu einem Beobachter. Natürlich enthält das Bild viel von mir. Meine Sichtweise, meine Entscheidung, was im Ausschnitt ist oder nicht. Meine Entscheidung über- oder unterzubelichten, u.s.w. Der abgebildete Gegenstand jedoch ist (abgesehen vom eventuell vorhandenen eigenen Schatten oder von Spiegelbildern) komplett separiert von mir. Ich habe mich als Teilnehmer aus der Welt abgemeldet.
Zum anderen schaffe ich Verbindung zur Welt. Ich nehme durch diesen Kanal sehr viel intensiver wahr, als ich es ohne Kamera täte. Die Zeit den richtigen Ausschnitt im Sucher zu finden ist auch ein intensives Moment sehr genau darauf zu schauen, was da überhaupt so vor mir ist. Ich erlebe das auch deshalb so intensiv, weil er Moment ausgesprochen ausschließend ist. Weder kann ich ihn mit anderen teilen, noch werden durch ihn andere Sinneseindrücke so verstärkt, wie das visuelle Wahrnehmen. Häufig ist das dann so, dass mich die Bilder erstmal gar nicht so sehr interessieren. Ich beschäftige mich oftmals erst Tage später wieder damit. Im Prinzip ist aber dieser Moment die treibende Kraft hinter dem Fotografieren.
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Trotzdem ist es mir auch wichtig mit den Bildern etwas zu tun. Sie in einen Zusammenhang zu stellen, der über die Gegenstände auf einzelnen Bildern herausgeht. Bilder auf der Festplatte zu archivieren ist ein wenig so, als begrübe ich sie. Mag sein, dass andere anders mit ihren Archiven umgehen, ich schaue sie mir eher selten durch. Nur, wie kommt es dann zu größeren Zusammenhängen? Wie kann das gehen, wenn ich nur absichtslos und nebenbei mich durchs Leben fotografiere? Und sind Bilder, die aus einem dorch irgendwie intimen Moment entstehen überhaupt geeignet Teil einer Arbeit zu werden? Sind sie nicht vielleicht zu privat? Das lässt sich natürlich nicht pauschal beantworten. Manche sicherlich, andere eher nicht. Wenn ich aber ein Fotoprojekt verfolge, dann sollten doch die Bilder dazu absichtsvoll aus dem Konzept bzw. dem Gedanken des Fotoprojekts entstehen. Denke ich. Sollte ich nicht rausgehen und dann so fotografieren, wie es zum Projekt passt?
Bilder, die wie oben beschrieben entstehen, haben häufig eine gute Qualität. Ich glaube, man merkt vielen dieser Bilder diesen Augenblick der Konzentration an. Aber sie entstehen aus Situationen, die keine bestimmten Zusammenhänge zu einem Fotoprojekt haben. Ihnen fehlt die konzeptionelle Klammer eines Projektthemas. Und dann sitze ich zuhause und denke, tolle Bilder, aber was mache ich nun mit ihnen? Vielleicht ergibt sich ja zufällig ein Konzept, ein Gedanke oder ein Thema. So ging es mir mit den Bildern der Werra-Radtour. Ich wusste anfangs nicht, wie sie sich zu einem stimmigen Ganzen entwickeln würden. Sie aber dem leisen digitalen tod auf der Festplatte zu überantworten, das wollte ich nicht. Es hat sich hier glücklicherweise aber dann ein roter Faden ergeben. Ganz oft jedoch tue ich mich hier schwer. Da ist dann ein Keim in zufälligen Bildern verborgen, ich schaffe es aber nicht aus ihm etwas zu entwickeln.
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Wie entstehen überhaupt meine Fotoprojekte? Wie kommt es zu einem konzeptionellen Ansatz? Und wie entstehen Fotografien für ein konkretes Fotoprojekt? Häufig liegt der Ansatz solcher Projekte in dem intensiven Fotografieren von irgendetwas Spezifischem. Geländeformen, nächtliche Kleinstädte, Wolken und Felsen. Vielleicht auch die Lost Places. Denen begegne ich eher zufällig. Es entstehen Fotografien, wie oben beschrieben und im Nachhinein faszinieren sie mich, ohne, dass ich genau weiß warum. Weiter geht es dann aber mit dem intensiven Lesen. Mit konzeptionellen Unterbau. Ich versuche diesem „warum bin ich fasziniert“ irgendwie näher zu kommen. Und wenn es dann gelingt mit einem solcherart konzeptionell geschärftem Blick weiter zu fotografieren, dann entsteht auch eine stimmige Arbeit. Tatsächlich ist das aber ausgesprochen aufwändig in Zeit und Kraft. In den letzten Jahren fehlte sie mir. Sowohl die Zeit, als auch die Kraft. Diverse Ideen sind hängengeblieben (Eva Besnyö, Amsterdam), an manchem bin ich einfach gescheitert (Alter Ego) und wieder anderes wartet noch auf eine zündende konzeptionelle Idee (Dissolving Structures, Der Schaum der Zeit).
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Das Werrabuch ist eine gute Sache. Kein großer künstlerischer Anspruch, kein konzeptioneller Überbau, einfach Beobachtungen. Visuelle und verbale. Und ich habe nicht lange nach einem Thema gesucht, ich hab mit dem Sequenzieren und legen begonnen. Es sind Bilder, die „so nebenbei“ entstanden sind und aus denen sich doch ein stimmiger roter Faden entwickeln ließ. Und ich werde nicht weiter gezielt rausgehen um dafür zu fotografieren. Die Bilder sind fertig und komplett. Und das Buch wird es auch.
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Mit den anderen Themen sieht es anders aus. Da fehlt definitiv noch Material und ich stelle mir die Frage: warte ich bis es zufällig kommt? Oder soll ich gezielt fotografieren? Und wenn ja, was? Der Projektmanager in mir sagt ganz klar, dass hier ein gezieltes Arbeiten erforderlich ist. Dass ich ein klares Bild vom Ergebnis haben sollte und daraus ableiten kann, wie die Bestandteile dazu aussehen könnten. Und dass es lediglich eine Frage des Invests von Zeit und ja… auch Geld ist, diese Bestandteile zu erarbeiten. Der Flaneur in mir sagt: sie werden von alleine kommen, die Bilder und die Ideen. Und der Flaneur sagt auch: nur dann entsteht etwas, das zwanglos passen wird.
Mittlerweile meine ich, dass ich beide Personen in mir beteiligen muss. Allerdings jeden mit seiner je eigenen Stärke: beim Fotografieren sollte ich dem Flaneur den Vortritt lassen. Seine Bilder passen nicht immer zum jeweils aktuellen Projekt, aber sie sind auf eine geheimnisvolle Art und Weise gut. Finde ich jedenfalls. Geheimnisvoll, weil ich es nicht immer verbalisieren kann. Auch wenn das Bedürfnis danach groß ist. Und der Projektmanager ist am Zug, wenn es darum geht aus einem Stapel Bilder etwas Größeres zu bauen. Etwas, das in sich stimmig ist und in einer stringenten Art und Weise Form annehmen kann. Und wenn es darum geht etwas fertig zu bekommen.
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P.S.: Und, welche Einstellungen nehme ich nun?
Ganz klar: 80% meiner Bilder entstehen im P-Modus. 😉