A la recherche de l’image réfléchissante

A la recherche de l’image réfléchissante

Vor einigen Monaten, im Rahmen eines Gesprächs in der Fotogruppe, wurde die Frage nach aktuellen oder kommenden Fotoprojekten thematisiert. Ich tue mich da seit Terrain vague ja ziemlich schwer. Irgendwie auch schon mit Terrain vague selbst. Dieses Unbehagen habe ich lange am Begriff „dokumentarische Fotografie“ festgemacht. Ich war nie besonders interessiert als Archivar eines vergangenen Augenblicks zu agieren; daran die Welt zu beobachten und mit der Kamera gewöhnliche oder auch nicht so gewöhnliche – der Unterschied ist ohnehin nicht in den Dingen zu finden, sondern darin, woran wir gewöhnt sind – Umstände zu fixieren. 

Mich haben Aspekte der Wahrnehmung, des Lesens und Verstehens von Bildern immer mehr fasziniert, als das reine Zeigen, wie die Welt so sei. Fragen danach, was uns dazu bringt einer Fotografie eine Bedeutung zuzuschreiben, oder was denn dazu führt, dass unterschiedliche Menschen aus ein und demselben Bild unterschiedliche Botschaften entnehmen, bewegen mich schon seit mehreren Jahren. Dahinter verbirgt sich eine psychologische Komponente: wie funktioniert Verstehen? Aber auch eine soziologische: was macht unsere Kompetenz als Rezipienten in einer bilddominierten Medienwelt aus? Diesen letzteren Gedanken will ich hier aber gar nicht verfolgen. Muss ich mir aber mal merken, denn er hat unmittelbar mit uns als gesellschaftlichen und politischen Wesen zu tun; mit Manipulation und mit dem Einnehmen von eigenen politischen Standpunkten.

Um den psychologischen Gedanken weiterspinnen zu können ein kurzer Exkurs in mein kleines, persönliches Modell der Wahrnehmung. Es trägt ebenso positivistische wie konstruktivistische Aspekte in sich. Die positivistische Seite ist: es gibt eine Welt, die sich uns in wahrnehmbarer Erfahrung mitteilen kann. Der Stuhl auf dem ich sitze, trägt mich ebenso, wie er jeden anderen trägt. Der Sonnenaufgang findet für mich zur selben Zeit statt, wie für die Person, die neben mir steht. Heißt: wir bilden uns diese Welt nicht nur nicht ein, sie existiert und sie ist von uns wahrnehmbar. Und die Signale dieser Welt sind unabhängig von der Person, die sie wahrnimmt. Vielleicht sind Messprozesse abhängig von der Beobachtung, aber die dahinterliegenden Strukturen und Wechselwirkungen, sowie die daraus entstehenden Signale sind personenunabhängig.

Also: da draußen passiert etwas und wir können es wahrnehmen. Der konstruktivistische Aspekte tritt nun dadurch hinzu, dass wir aus unserer Wahrnehmung etwas machen. Wir interpretieren die wahrgenommene Welt. Mit dieser Interpretation entsteht in unserem Kopf ein Weltmodell. Erst wenn ein solches Weltmodell existiert, findet Verstehen überhaupt statt. Diese Weltmodelle haben viele gemeinsame Eigenschaften, die es ermöglichen, dass wir uns darüber austauschen können. Manche dieser Eigenschaften haben mit unserer Anatomie (wir können beispielsweise Größen zu uns in Relation setzen) und Physiologie (z.B. Helligkeit, Wärme, taktiles Empfinden) zu tun, andere mit unserer psychologischen Konstitution (Gefühle, die wir empfinden), wiederum andere haben mit dem Kulturkreis zu tun, in dem wir sozialisiert wurden (Wissen, kulturelle Übereinkünfte). Und auf dessen Basis eine Bedeutung entstehen kann, die nicht nur in mir existiert, sondern die Gemeingut werden kann. Bedeutung zu schaffen ist nun in diesem Prozess der Übergang von Welt zu einem Weltmodell.

Diesen Prozess des Framings kann jeder für sich nachvollziehen, indem er oder sie sich beispielsweise sehr lange und konzentriert ein Bild ansieht. Nicht nur, dass man immer mehr Details auf dem Bild erkennt, die Dinge beginnen im Kopf langsam miteinander in Beziehung zu treten und auch wir als Betrachter beginnen in ein Verhältnis zu den Dingen und zum Bild selbst einzutreten. Eine Gefühlslage bildet sich, Wissen, Erinnerungen oder Erwartungen werden damit verbunden, verändern sich möglicherweise auch im Laufe des langen und konzentrierten Betrachtens. Das ist übrigens auch eine sehr gute Übung des Sehens vor dem Auslösen. Das aber nur nebenbei. Am Ende haben wir ein Modell im Kopf, in das das Bild eingefügt ist, und das uns einen Zugang zum Bild schafft.

Und soweit auch der Exkurs.

Beim Betrachten von Bildern nehmen wir nun nicht nur das Bild (als Abzug oder Print, oder auch als Display), sondern auch die darin abgebildeten, aber in ihrem Ursprung weltlichen Dinge wahr. Eine Ansammlung von Objekten, die irgendwie auf der Bildfläche angeordnet sind. Betrachten wir nun eine fiktive Landschaftsaufnahmen: dass das in der Mitte ein Baum ist, da rechts vielleicht ein Bach, im Hintergrund Berge und das Ganze im Vordergrund auf einer Wiese angeordnet ist, das ist nun ein Interpretationsvorgang. Er findet dadurch statt, dass wir Gelerntes und Archiviertes in unserem Kopf aufrufen, und das Wahrgenommene damit vergleichen und dort einsortieren. Den Dingen Bezeichnungen geben, sie miteinander in Verbindung bringen. Es entsteht ein Weltmodell, in dem auch Umstände, die nicht im Bild enthalten sind, dem Bild zugeordnet werden. Ein Landschaftsidyll, ein Osterspaziergang, eine Erinnerung an unseren letzten Urlaub, eine Assoziation mit ideologischen Strömungen, was auch immer. Und natürlich ordnen wir diesen Dingen und den Umständen, mit denen wir sie in Verbindung bringen, Gefühle zu. Wir fühlen uns beim Betrachten angenehm berührt, fühlen eine Ruhe oder auch ein Gefühl der Freude, vielleicht auch Unbehagen. Das heißt, dass ein ausgesprochen großer Anteil dessen, was wir aus Bildern lesen, gar nicht in den Bildern drin ist, sondern von uns ergänzt wird. So entsteht die Bedeutung. Ganz unabhängig davon, ob gemalt, skulptural modelliert oder fotografiert wurde.

Was nun die Fotografie auszeichnet, ist, dass sie die Dinge dieser Welt abbildet. Als Fotografen nehmen wir keinen Stift, mit dem wir manuell auf Zelluloid (oder dem Sensor) aufbringen, was wir „innerlich sehen“, nein, wir nehmen die Welt als etwas von uns Unabhängiges in den Fokus und halten sie fest. Es sind immer Dinge in der Welt, die notwendig sind, dass eine Fotografie entsteht. Anders gesagt: ohne Welt keine Fotografie – wohl aber durchaus ohne bewusst agierende Fotografen: das führen uns die vielen Videostills von Überwachungen, Kameras an Autos, Wildlife-Cams usw. vor. Kein Foto ohne Welt – und auch hier nochmal im Gegensatz zu: keine Malerei ohne Maler. In diesem Sinne ist Fotografie ein reiner Prozess des „Sichtbarmachens der Welt“.

Welche Rolle nehmen wir also als Autoren überhaupt ein? Was tun wir, und wozu sind wir beim Fotografieren überhaupt zu Nütze? Klar, um Ausschnitt und Belichtung zu wählen, die dann zu einer mehr oder weniger gelungenen Aufnahme führen. Aber, wie oben schon beschrieben, das ist keine notwendige Voraussetzung. Noch nicht einmal für ein „gutes“ Bild (siehe die faszinierenden Satellitenbilder zur Wetter- und Klimabeobachtung; auch diese entstehen ohne einen Menschen am Auslöser). Ob wir nun beim Fotografieren dabei sind, oder nicht: es entsteht ein Dokument über die Welt zum Zeitpunkt des Auslösens.

Nun kommt natürlich noch der Punkt der Intention dazu: als Autor/in habe ich doch ein Anliegen. Schließlich ist das Bild doch auch eine Botschaft. Etwas, das mir als Fotograf/in wichtig ist. Etwas, das ich mit Bildern anderen Menschen mitteilen möchte. Aber ist das denn überhaupt möglich oder sitzen wir hier eventuell einer Illusion auf? Kann ich mit einem Bild denn überhaupt Botschaften transportieren? Nochmal zum Exkurs der Bedeutungsentstehung zurück: Bilder enthalten Abbilder dieser Welt. Als solche werden sie beim Betrachten wahrgenommen: als Vertreter dieser Welt. Und im Wahrnehmen in einen Kontext gesteckt, in dem sie Bedeutung erlangen und verstanden werden. Das heißt: die Bedeutung kommt gar nicht mit dem Bild mit, sondern sie entsteht am anderen Ende der Kommunikationskette. Trotzdem funktionieren Bilder als Informationsmedium, ja gar oder gerade als Propagandamedium. Aber auch hier sind‘s gesellschaftlich geprägte Frames, die gezielt mit einem Bild im Kopf der Betrachter aufgerufen werden. Am Ende könnte man zu dem Punkt kommen, dass eine echte Autorschaft beim Fotografieren eine Illusion ist. Dass nur ein Dokument entsteht, ein Abbild der Welt festgehalten wird. Wie auch immer es entstanden ist und wie auch immer es dann zu späteren Zeitpunkten verstanden wird.

In dem anfangs beschriebenen Gespräch habe ich das Unbehagen an diesem Umstand stark gespürt. Es kam das Gespräch auf die Wolkenbilder und ob das nicht ein Projekt sei. Da sind viele schöne und auch interessante Bilder dabei. Trotzdem fehlte mir eine thematische Klammer. Was könnte das für eine Arbeit werden? Ein Hinweis aus der Gruppe war: „warum so kompliziert; wie wäre es mit dem Thema ‚Wolken‘?“. Und genau da liegt mein Unbehagen. Eine Typologie von Wolken anzulegen ist nicht mein Ding. Nicht missverstehen: es ist nichts, was an Anspruch oder Qualität schlecht wäre, es liegt mir nur nicht ein Inventar der Welt anzulegen um zu sagen: schaut her, so sehen (oder so sahen) die Wolken aus. Ich möchte etwas anderes sichtbar machen. Ich möchte mit dem Entstehen von Bedeutung im Wahrnehmen spielen können. Um eine physikalische Metapher zu verwenden: ich möchte, dass das Licht, das durch eine Aufnahme in unseren Kopf eindringt, dort beim Entstehen von Bedeutung gestreut wird; dass dieses Lesen, Interpretieren und Verstehen von Bildern selbst zum Gegenstand wird.

Wie sind dann solche Bilder? Wie kann nun eine Arbeit, die solcherlei leisten kann, ausschauen? Ich nehme nochmal die Wolken und komme zu einem Lieblingsfotografen, Alfred Stieglitz. Dieser hat sich in seinen letzten Jahrzehnten intensiv mit Wolken beschäftigt. Wollte damit aber nie Wolken abbilden. Für ihn waren es Äquivalente. Äquivalente für Zeit, für flüchtige Ereignisse, für Chaos und Ordnung, für das Leben selbst. Darauf deuten jedenfalls die diversen überlieferten Zitate und Erläuterungen hin. Damit entfernen sich die Bilder aber vom abgebildeten Gegenstand und beleuchten die Bedeutung, die mit ihnen entstehen können. Das Bild emanzipiert sich; die Transparenz in Richtung Welt nimmt ab, das Bild wird zu einem eigenen Objekt. Die Fotografie macht also nicht (nur) sichtbar, sie wird damit sichtbar. Ohne sie findet das Entstehen einer Bedeutung, eines Weltmodells im Kopf nicht statt. Die Fotografie wird notwendig.

Siehe: Alfred Stieglitz, Equivalents

Auch narrative Ansätze könnten so etwas leisten. Dinge, die auf Geschichten verweisen. Bilder, die assoziative oder auch symbolische Elemente in sich tragen, und doch über rein dinglichen, den gegenständlichen Kontext rausgehen. Das kann persönliche, (auto-) biografische Aspekte im Zentrum haben, vielleicht auch gesellschaftliche. Solche Ansätze müssen nicht notwendigerweise verbalisierbar sein. Es muss kein „Fotoroman“ werden. Das geht mit sprachlichen Mittel vermutlich auch deutlich besser. Für mich wenigstens ist es gerade das Nichtverbalisierbare, das eine solche Fotografie vom sprachlichen Ausdruck abhebt. Ein Beispiel für einen solchen Ansatz die Arbeit The Epic Love Story of a Warrior von Peter Puklus. Er thematisiert hier Geschichte des 20. Jahrhunderts aus der Sicht von familiären Erzählungen. Die Bilder zeigen weltliche Dinge, fügen sich aber in einen davon unabhängigen Kontext ein.

Siehe: Peter Puklus, The Epic Love Story of a Warrior

Ebenso sind Prozesse der Dekonstruktion von Bildern (Derrida-Kenner mögen mir verzeihen, es ist eine von ihm losgelöste und sehr freie Verwendung dieses Begriffs) denkbar. Bilder, die sich aus unterschiedlichen Elementen zusammensetzen und mit ihren Elementen unterschiedliche Kontexte beim Wahrnehmen aufrufen. Vielleicht auch solche, die beginnen zu oszillieren. Es entsteht sicherlich Verwirrung beim Betrachten, aber mit dem Aushalten der Verwirrung wächst auch die Fähigkeit Vieldeutigkeit solcher Bilder zu würdigen.  Und hier fallen mir Lucas Blalock oder Viktoria Binschtok ein. Bildwelten, die dekonstruiert sind, und die auch den Prozess einer solchen Dekonstruktion thematisieren.

Siehe: Interview mit Lucas Blalock, Frieze, 2013
Siehe: Interview mit Viktoria Binschtok, Schirn Magazin, 2014

Terrain vague war eine Arbeit, die einen Blick auf zeitgenössische Geländeformen ermöglicht. Sie macht etwas sichtbar. Sie wertet nicht, sie beschönigt genauso wenig wie sie verurteilt. Das kann, wer mag, jeder für sich tun. Nur, für die Zukunft möchte ich gerne etwas anderes. Bilder, die dem Betrachter einen Blick auf sein eigenes Verstehen der Bilder ermöglichen. Damit ist – glaube ich jedenfalls – der Rahmen, besser gesagt: die Richtung zu zukünftigen Projekten ganz gut umschrieben. Wie sich das nun operationalisieren lässt: welche Bilder, welche Sequenzen, welche Präsentationen, welche intermedialen Punkte (Text, Musik, etc…) genutzt werden können, das bleibt hier noch offen; das wird dann in einem anderen Beitrag genauer ausgeführt werden.

A la recherche de l’image réfléchissante. Die Suche geht weiter. 

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