Es tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Natürlich tritt der ein, weil wir sind anpassungsfähige Wesen. Und, sind wir mal ehrlich, so viel Fundamentales hat sich nun auch wieder nicht verändert.
Und doch gibt’s Dinge, die dann anders sind. Der Effekt der Entfremdung nimmt immer mehr zu. Fehlender Kontakt führt zu fehlendem Feedback und damit zu fehlendem Korrektiv. Diese Woche ist es mir sogar mal passiert, dass ich meinen Kunden angeschrieen hab. Eine peinliche Premiere. Bislang hatte ich immer die notwendige Distanz. Ansonsten vergeht die Woche aber. So ereignislos. Wie anstrengend. Hauptsächlich mit Telefonieren, Web- und Videokonferenzen. Gleichförmig halt. Laut, abgehackt und mit beschränkter Bandbreite. Neulich meinte mal jemand, 6 Stunden Webkonferenz hält niemand aus. Das muss ich korrigieren: man kann auch 8 Stunden aushalten. Ob das aber sinnvoll und zuträglich ist, ist tatsächlich eine andere Frage. Aber immerhin, die Woche vergeht. Auch wenn am Freitag dann die Erschöpfung dominiert.
Es entstehen auch neue Formen des Miteinanders. Gestern, zum Beispiel haben die Kollegen aus dem Team zum Feierabendbier eingeladen. Also, jeder für sich vor der Kamera natürlich. Ein Corona war natürlich auch mit dabei. Ich saß dann davor und hab gekuckt… und mich gefragt, was da passiert. Ich war einfach nicht dabei. Auch wenn ich dabei war. Ja, liegt auch daran, dass ich 25 Jahre älter als die meisten dort bin, anders sozialisiert und außerdem im Small-Talk auch eher unbegabt. Und man immer nur vier Köpfe sieht, stets nur einer reden kann und das aushandeln, wer dran ist, so aufwändig, dass mir auch die Lust zum Plaudern vergeht. Ich hab mich dann recht schnell wieder ausgeklinkt. Das hatte nur noch Surrogatcharakter. Okay, Boomer…
Aber, wie eingangs gesagt, ich gewöhne mich. Diszipliniere mich, strukturiere meinen Tag, nehme auch trotz Bewegungsmangel weiter ab… und hoffe der eintretenden Gleichförmigkeit nicht zu erliegen.
tbc…
Thomas Rink
4 Apr 2020Was mir in der derzeitigen Situation aufgefallen ist – daß wir im Grunde keine Individuen sind. Objektiv gesehen, der Winter geht gerade zu Ende, das Wetter ist herrlich, ich habe Dank Homeoffice 2 Stunden mehr Freizeit am Tag, alles prima. Andererseits: Tote in Spanien, Tote in Italien, Meldungen in der Tagesschau, daß wir das in zwei Wochen hier erwarten können. Dunkle Wolken am Himmel! Nur: Kennen Sie jemanden persönlich, der erkrankt ist? Ich auch nicht. Und trotzdem: Dunkle Wolken am Himmel. Ist es nicht irgendwie so, daß das, was wir als Realität bezeichnen, durch Wechselwirkung mit unserer Umgebung und unseren Mitmenschen in unseren Gehirnen entsteht, und eher nicht durch empirische Erfahrung bestimmt wird? Ich werde diesen Gedanken für die Zeit, nachdem alles vorüber ist, bewahren und weiterspinnen.
Viele Grüße, und bleiben Sie gesund,
Thomas Rink
Jürgen
5 Apr 2020Guten Morgen, Thomas,
wollen wir beim Du bleiben? Fände ich jedenfalls schön.
Grundsätzlich ist unsere je subjektive Realität etwas, das durch Wahrnehmung im Kopf entsteht. Davon bin ich überzeugt. Tatsächlich meine ich aber, dass für eine „wohlgeformte“ Realität (etwas, das wenn vielleicht nicht unbedingt vollständig, aber vielleicht doch vielfältig und möglichst wenig verzerrt) eben auch vielfältige Wahrnehmungserlebnisse beitragen. Ich schreibe in diesen kleinen Beiträgen davon, wie ich einen eigenen Standpunkt in dieser Realität angesichts meines eingeschränkten Bewegungs- und damit auch Erlebnisraums finden kann. Und was mir quasi im Vergleich zum alten, und noch viel analoger gelebten Leben dabei fehlt. Auf einen kurzen Begriff (vielleicht ist er auch verkürzt, das weiß ich (noch) nicht) gebracht: es fehlt das physische Erleben. Begreifen kommt schon auch nicht zufällig von „greifen“.
Sonnige Grüße und ebensolche Wünsche aus Berlin
Jürgen
Thomas Rink
5 Apr 2020Hi Jürgen,
Entschuldigung, das ‚Sie‘ war mir am Abend eines langen Tages durchgegangen ;^). – Aber ja, das direkte Wahrnehmen, das Erfahren mit allen Körpersinnen, das ist das Erspüren der Realität! Das, was als Nachrichten auf uns einstürmt, ist zwar auch wichtig – aber auf einer ganz anderen Ebene. Man darf das eine nicht mit dem anderen verwechseln.
Das schöne beim Fotografieren ist ja gerade, daß man mit der Umgebung in Interaktion treten kann. Gottseidank darf man hier in NRW noch Fotoexkursionen unternehmen, solange man es allein tut.
Viele Grüße,
Thomas