Mal ein kurzer Rückblick von einem kurzen Trip nach Kassel zum Fotobookfestival. Kurz deshalb, weil ich die Eröffnung in vollen Zügen genießen konnte, für mich aber festgestellt habe, dass ich an dem Eröffnungsabend bereits alles für mich Interessante gesehen oder entdeckt hatte. Und dementsprechend schon am nachfolgenden Vormittag wieder abgereist bin.
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Aber der Reihe nach:
Mein Grund nach Kassel zu fahren war ja meine Teilnahme am Kassel Dummy Award. Ich hatte Terrain vague eingereicht, primär um mal eine Verortung vorzunehmen. Und sekundär zwar – aber trotzdem relevant, um auch ausgewählt zu werden. Nicht zu gewinnen, nein. Für die Shortlist mit 12-monatiger Wanderausstellung ausgewählt zu werden. Ja. Der Award ist so angelegt, dass aus allen eingesandten Dummies 50 ausgewählt werden. Einen inhaltichen Rahmen gibt es nicht, einen formalen nur insofern, dass noch keine Veröffentlichung erfolgt sein sollte. Die ausgewählten 50 Dummies sollten dann auch in zwei Exemplaren vorliegen können, damit die Dummies auf verschiedenen Ausstellungen über die kommenden 12 Monate gezeigt und bei Bedarf (Beschädigung) ausgetauscht werden könnten.
Eingesandt wurden 359 Dummies, daraus ausgewählt wurden dann nicht nur 50, sondern, wegen der hohen Qualität, so der Veranstalter, sogar 53 Exemplare. Das ich mit Terrain vague nun nicht auf der Shortlist gelandet bin, fand ich schon sehr schade, und natürlich hat mich dann auch interessiert, was denn tatsächlich ausgewählt wurde. Schließlich wollte ich ja ein Gefühl erhalten, wo ich mich denn mit meiner Fotografie einsortieren könnte.
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Das Festival selbst findet in der Documenta Halle statt. Es ist eine große Ansammlung von Foto-/Kunstbuchhändlern da, die ein wirklich tolles Sortiment zum Abverkauf vor Ort dabei haben. Für mich immer wieder faszinierend. Was für andere Schuhe oder Mode ausmacht, das machen für mich Fotografiebücher aus. Da komme ich auch nie verlustfrei durch. Aber … es gibt unangenehmere Weisen Geld zu versenken.
Dann gibt’s noch eine „Ausstellung“ (im wahren Wortsinne 😉 ) draußen vor dem Eingang zum Thema „Welt im Umbruch“. Da hat sich aber mein Auge in so gar nichts verfangen.
Und schließlich eine dreitägige Vortragsreihe, die mich schon auch interessiert hätte, nicht zuletzt weil auch ein paar spannende Leute angesagt sind. Insbesondere hätte mich ein angekündigtes Gespräch zwischen John Gossage und Gerhard Steidl interessiert. Aber, dazu hätte ich tatsächlich das ganze Wochenende bis Sonntag nachmittag bleiben müssen. Das geht gerade nicht. Es fehlt mir auch so schon an allen Ecken und Enden an Zeit.
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Die Dummies – die ausgewählten. Alle 53 Einzelstücke habe ich mir nicht angesehen. Dafür fehlte die notwendige Ruhe. Ich habe mir einmal einen Überblick verschafft. Und dann noch eine handvoll Exemplare mit ein wenig mehr Zeit durchgeblättert. Inhaltlich: viele Arbeiten drehen sich um Menschen. Transmenschen, Flüchtlinge, Menschen, die mit Sexpuppen leben, versehrte Menschen. Wenig Arbeiten haben einen Schwerpunkt auf Umgebung. Viele Dummies leben von einer großen Unruhe in der Präsentation. Seiten, die einander formal ähneln sind eher unüblich, Und wenn, dann handelt es sich um eine durchgehend randlose ein- oder doppelseitige Präsentation. Viele Dummies trumpfen auch mit einer bunten Vielfalt an unterschiedlichen Seitenformaten, Papierarten, Papierfarben auf; etwas bei dem einem potenziellen Drucker eher Runzeln auf der Stirn entstehen. Aber vielleicht bleibt’s da ja beim klassischen Künstlerbuch. Beim Einzelexemplar. Bei einigen wenigen Exemplaren würde ich behaupten, dass das definitiv so muss. Da ist ein Durchblättern von Hand an sich schon schwierig gewesen, um mit der Vielfalt an sperrigen Materialien (gewellte Plastikscheiben, u.m.m.) klar zu kommen. Diese Exemplare haben dann einfach eher skulpturale Qualität.
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Nach dieser Runde durch die Dummy Ausstellung habe ich besser verstanden, warum Terrain vague nicht ausgewählt wurde. Es passt einfach nicht dazu. Es passt auch nicht in den „Kunstbetrieb“. In das, was „en vogue“ zu sein scheint. Es ist eine klassische Fotografie in einer klassischen Präsentation. Und es ist thematisch kein Aufreger. Terrain vague weist nicht mit dem Finger auf einen mehr oder weniger problematischen Umstand, Terrain vague schaut nur um sich, beobachtet, beschreibt, hält sich mit Wertungen ganz bewusst zurück. Mir ist keine Arbeit unter den Dummies aufgefallen, an die sich Terrain vague anschließen könnte. Insofern: ja, es ist absolut nachvollziehbar, dass es nicht ausgewählt wurde.
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Fazit: ich habe für mich eine gute Positionsbestimmung vornehmen können. Insofern hat sich der Besuch tatsächlich gelohnt. Ich habe aber damit alles schon am Eröffnungsabend ansehen können, was mich interessiert hat. Einen weiteren Tag dort zu verbringen fand ich überflüssig. Zumal Kassel – mein erster Besuch dort – es nicht auf meine Städteliste schafft. Die Zeit, mein höchstes und knappstes Gut gerade, die kann ich zu Hause besser nutzen. Würde ich nochmal hinfahren? Tja, das hängt ein wenig vom jeweiligen Konferenzprogramm ab. Wenn das spannend ist, dann ja, aber dann auch für den gesamten Zeitraum. Ansonsten ganz klar: Nein. Auch keinen Dummy Award mehr. Da passe ich nicht dazu. Nicht mit dem, was ich gemacht habe, und nicht mit dem, was sich für mich an Möglichkeiten im Kopf nach vorne darstellt.
Richard Kralicek
1 Jun 2018Mutig, dass du mitgemacht hast. Nicht, weil das Scheitern schon erkennbar gewesen wäre. Das möchte ich entschieden abstreiten. Aber. In unserer knallbunten Zeit, wo die Ferne oft näher liegt und die Stimmen stets lauter schreien müssen, um gehört zu werden, ist eine lokale Bestandsaufnahme, ein Um-sich-blicken wie das Nachwehen einer längst vergangenen Epoche, oder der Vorbote einer Zeit der Muße, von der man derzeit nicht zu träumen wagt; vieles wird durch die Digitalisierung völlig auf den Kopf gestellt werden, und ernsthafte Nachhaltigkeit nur dann funktionieren wird können, wenn wir lokal besser, bewusster und generell aufmerksamer zu werden (achtsamer hätte ich auch sagen können, aber dieses schöne Wort wird leider inflationär missbraucht). Das Nahe dem Fernen vorzuziehen, das Leise dem Lauten, das Knirschen im Gebälk des Umfelds dem Donner der Ungerechtigkeit ist eine nicht zu unterschätzende Ergänzung, eine Verortung im hier und jetzt. Alles hat seinen Platz, aber offenbar wünscht man das nicht an der Front. Dort scheint es Krachen zu müssen, zumindest seine Andersheit hinauswuchten. Was soll’s, es scheint symptomatisch für unsere Zeit zu sein.
Ich freu mich auf weitere Arbeiten von dir.
LG
Richard
Jürgen
1 Jun 2018Das ist sehr nett, Richard.
Ich glaub schon, dass die Auswahl gerechtfertigt ist. Dass es diese Impulse, das neue Schaffen in der Fotografie auch braucht. Manchmal wünschte ich mir, es würde auch thematisch ein paar neue Themen geben, aber da … naja, das braucht vielleicht mehr Zeit und Energie als das gestalterische. Trevor Paglin, z.B., der – finde ich jedenfalls – macht Sachen, die ich für die Zeit angemessen halte. Transmenschen, Beziehung zu Sexpuppen, das hat man schon wirklich einige Male gesehen… ja, ist vielleicht universell, okay, aber trotzdem: ein frischer Blick ist halt auch einer, dem man das inhaltlich wünscht.
Was das Laute und das vorschnell Wertende anbelangt, ich glaube, Richard, das ist was, was mit Alter und der Lebenserfahrung zu tun hat. Und, ich hab’s oben nicht so geschrieben, aber aus den Arbeiten sieht man einfach auch etwas, das an vielen Stellen jünger ist. Einfach jenseits meines Denkens, Fühlens, meines Erfahrungsraumes, und ich glaube jenseits meiner Lebenserfahrung liegt. Trotzdem: natürlich gerechtfertigt. Weil, die Jungen müssen gefördert werden. Nicht die Alten. Meine ich ernsthaft.
Sonnige Grüße nach Wien
Jürgen
Jürgen Lübeck
9 Jun 2018Mich würden deine buchgewordenen „Verluste“ interessieren! Wenn du möchtest…
Jürgen
10 Jun 2018Guten Morgen, Jürgen,
was genau meinst Du mit den buchgewordenen „Verlusten“?
Schöne Grüße Jürgen
Jürgen
10 Jun 2018Hmm, falls Du Terrain vague meinst:
https://www.juergen-hurst.de/arbeiten/terrain-vague/
Wenn nicht, gib‘ mir einfach Bescheid.
Sonnigen Sonntag noch
Jürgen
Jürgen
12 Jun 2018Sorry, ich lag nicht auf der Lauer…
Du schreibst:
„Was für andere Schuhe oder Mode ausmacht, das machen für mich Fotografiebücher aus. Da komme ich auch nie verlustfrei durch.“
Was hast du aus Kassel nach Hause getragen?
Jürgen
12 Jun 2018Ah, verstehe 😉
Moment, ich muss kurz rekapitulieren…
Mitch Epstein: Rocks and Clouds
Jungjin Lee: Echo
Maglorzata Stankiewicz: Cry of an Echo
Doch… das war Kassel, ja…