Fotografie heute

Fotografie heute

Neulich bin ich mal wieder über einen Artikel gestolpert, der nichts anderes konnte als – alles andere ausschließend – das Loblied „klassischer Fotografie“ zu singen. Mit dem Effekt, dass ich mich gefragt habe, wo denn eigentlich aktuelle und zur Zeit passende Strömungen in der Fotografie sind? Oder ob wir doch dazu verurteilt sind uns permanent im fotografischen Kreis der letzten 100 Jahre zu drehen? Quasi zum ästhetischen Stillstand auf Niveau der 40er oder 50er Jahre verdammt sind. Was für eine gruselige Perspektive…

Peter Puklus: Handbook to the Stars, Buch-Installation im c|o berlin, 2016

Vor einiger Zeit, im Frühjahr 2016, da hatte Peter Puklus die Chance im c|o Berlin Arbeiten zu präsentieren. Er verfolgt recht konsequent eine Form von Fotografie, die mich fasziniert.  Sie enthält etwas, das ich gar nicht genau benennen kann. Etwas, bei dem ich das diffuse Gefühl habe, da ist was anders. Genauso anders, wie bei Lucas Blalock, dessen Arbeiten ich bisher nur aus Büchern und dem Internet kenne. Und auch etwas, das – glaube ich -, zentral im Denken und Arbeiten von Charlotte Cotton ist. An dieses „da ist was Anders“ will ich mich, anlässlich des obigen Dilemmas, mal schreibend annähern. 

Mir stellt sich die Frage: warum eigentlich, klebt die Fotografie so sehr an klassischen Genrebegriffen, wie möglicherweise keine andere Kunstform. Landschaft, Portrait, Straßenfotografie, etc… und das auch noch perpetuiert mit vielen angeblichen Regeln, die ein korrektes Portrait, die eine amtliche Landschaft definieren, und die am Ende doch nur sich selbst-reproduzierende Ergebnisse liefern.  Warum eigentlich, kann, will oder gar soll die übergroße Mehrheit derjenigen, die Digitalfotografie betreiben, nur das nachahmen, was 50, 100 oder 150 Jahre davor schon als ästhetischer Maßstab galt? Und wo sind die Werkzeuge, mit denen wir, abweichend davon, aus dem Rohmaterial digitaler Fotografie etwas machen können, das nicht nach „sieht aus wie analog/damals/Ansel/etc…“ kurz der „guten alten Zeit“ strebt? 

Thomas, mein Fotolehrer, bringt sowas immer wieder trocken auf einen kurzen Nenner: wenn ich analoge Effekte digital nachahme, warum fotografiere ich dann nicht gleich analog? Klar, da gibt’s einen Haufen Gründe: Filme und Entwicklung kosten Geld, Aufnahmen lassen sich erst nach Entwicklung sichten, die vermeintlich unlimitierte Anzahl von möglichen digitalen Aufnahmen gestattet viel mehr – ich nenne es mal: Unaufmerksamkeitstoleranz beim Fotografieren, und einiges mehr. Klar, nochmal, das geht, und es ist auch statthaft. Nur eben mit dem Ergebnis, dass man das Bild möglicherweise schon häufiger gesehen hat. 

Und damit ist für mich der Kern der Frage: wo ist dieses Moment, das innerhalb der Fotografie als Ausdrucksform das Neue, das Andere eben auch ästhetisch aufgreift? 

Mit dem Abschluss von Terrain vague – nein, nicht erst dann, schon während der Arbeit daran – habe ich für mich etwas festgestellt, dass ich als einigermaßen limitierend empfinde. Aus der Form der Bildsprache kann man nicht erkennen, dass es eine aktuelle fotografische Arbeit ist. Dass sie nicht – sagen wir: aus den Siebziger Jahren stammt. Dass aus der Bildsprache etwas Zeitgenössisches erkennbar wird. Nicht falsch verstehen: die Inhalte zeigen das durchaus. Nur eben die Form nicht. Es werden Dinge gezeigt – es wird auf Dinge gezeigt. Dinge, die in der Welt fest verankert sind. Ganz klassisch. Zwar enthält die Arbeit eine ordentliche Portion subjektiver Sichtweisen, trotzdem zeigt sie recht direkt auf diese Welt.  Die Fotografie klebt quasi an den Dingen, die in ihr sind, sie hängt am Referenten, wie im Spätsommer die Wespen an der Konfitüre, um’s mal lax zu formulieren. Das ist dann wohl auch der Grund, warum ich, warum andere, warum man von diesen Bildern immer wieder als Landschaftsfotografie spricht. Es ist eben durch die Nutzung klassischer fotografischer Momente schnell mit den Genres der klassischen Fotografie kategorisiert.

Nun scheint das auch ein passender Weg zu sein, jedenfalls sofern man etwas thematisieren möchte, das in der Welt stattfindet. Vielleicht in Abgrenzung zu Themen, die innerpersonell oder psychologisch gelagert sind. Wenn ich als Fotograf über etwas da draußen sprechen will, dann ist der Impuls rauszugehen und die Welt unter diesem Blickwinkel zu fotografieren sicher kein falscher. Vermutlich aber neigt die Fotografie grundsätzlich qua ihrer Natur dazu, immer eng an der Welt zu hängen. Schließlich malen nicht wir mit dem Objektiv direkt, sondern die Welt malt sich durch das Objektiv auf Sensor oder Film. Wir legen nur die Rahmenbedingungen fest, unter denen sie sich dann malen kann.

Das nun scheint bei Puklus ebenso, wie bei Blalock tatsächlich überschritten zu werden. Puklus baut Skulpturen – durchaus auch mit Menschen, die er dann fotografiert und zu größeren Narrativen (weniger Geschichten, eher komplexere Weltmodelle) zusammenfügt. Oder, wie oben gezeigt, aus seinen Büchern eigene Installationen entstehen. Er geht nicht raus und hält etwas nur fest, er inszeniert auch nicht aufwändig. Ebensowenig sucht er in kleinen oder großen Ausschnitten Ungesehenes. Er agiert eher als ein Bildhauer, dessen Skultpuren sich fotografisch manifestieren. 

Blalock nimmt Alltägliches und verändert es digital. Er kreiert daraus Bilder – immer wieder mit Bezug auf Malerei – die im Gegensatz zu Puklus‘ Ansatz eher als Einzelbilder aufgefasst werden können. Zwei durchaus unterschiedliche Ansätze, die aber beide in Fotografie Gestalt finden und beide deutlich über die Ästhetik einer klassischen Fotografie hinausgehen. 

Charlotte Cotton, Kuratorin und Autorin, hat mit Photography is Magic dazu eine bemerkenswerte Zusammenstellung herausgegeben. Sie enthält Arbeiten von 82 Vertreter/inne/n mit 327 Bildern. Es ist ein sperriges Buch. Eines, dass das Ansehen von Ungewohntem erfordert. Eines, das Neugier oder ein sich auf Neues einlassen wollen voraussetzt.  Aber, auch eines, das entgegen dem Mainstream Arbeiten zeigt, bei denen zeitgenössische Fotografie anders in Erscheinung tritt.  Wo tatsächlich klassische fotografische Ästhetik überschritten, wo auch digitale Techniken mit ihren ureigenen Charakteristiken Ausdruck finden.

Aber, wenn man das so ansieht: ist das noch Fotografie? Oder doch etwas anderes? Oder kommt diese Frage nur deshalb auf, weil unser gewohntes Sehen mit Fotografie tatsächlich nur die traditionellen Begriffe umfasst? Ich persönlich denke, dass es Fotografie ist. Sicherlich ist es eine, für die andere Kategorien oder Genres erforderlich werden. Zumindest passt sie nicht so recht zu den klassischen. Dass es unser Sehen herausfordert, gehört zu den Eigenschaften, die darauf verweisen, dass da tatsächlich Grenzen überschritten werden. Und, dass diese Form der Fotografie geeignet ist, unsere Sehgewohnheiten zu erweitern. Eine gute Tradition kreativen Tuns  und vor allem künstlerischen Handelns. 

Nicht dass ich traditionelle Sichtweisen schlecht fände, nein ganz und gar nicht. Mein letzter Erwerb, E.O. Hoppé, The German Work, ist ein faszinierendes Buch voller expressionistischer Fotografien. Gute Fotografie aber ausschließlich über eine klassische fotografische Ästhetik definieren zu wollen ist schlicht limitierend und selbst limitiert. Den Impuls, den mein Widerspruchsgeist empfangen hat, den habe ich nun aber genutzt um mal über Strömungen und Tendenzen zu schreiben, die mich ebenso faszinieren. Strömungen, in denen ich beschreibend das Andere erkennen kann. Und von denen ich glaube, dass sie mich selbst vielleicht eher weiterbringen, als die großen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Was ich definitiv nicht despektierlich meine.  

Es gibt sie also. Und das ist die beruhigende Botschaft. Gute Fotografie kann also doch mehr sein, als nur Portraits à la Irving Penn und Kollegen nachzuahmen. Zumindest für mich – es kann weitergehen… 🙂