Im Augenblick

Im Augenblick

Im Laufe der Jahre hat sich in meine Fotografie eine gewisse Art von Unachtsamkeit, etwas positiver formuliert, von unbefangener Sorglosigkeit eingeschlichen. Ich achte kaum noch auf Kameraeinstellungen, auf Blenden oder Belichtungszeiten. Auch spielen Lichtverhältnisse und ISO-Werte wenn überhaupt, dann nur im Nachhinein noch eine Rolle. Ich nehme meine Kamera, ich stelle die Programmautomatik ein und überlasse all diese Dinge ihr. Meistens kommen, technisch betrachtet, auch ganz befriedigende Ergebnisse dabei raus. Manchmal auch nicht, wenn sich z.B. der Autofokus etwas anderes vorstellt, als ich das tat. Merke ich aber in aller Regel auch erst danach. Trotzdem bin ich mit diesem Verfahren ganz zufrieden. Technisch betrachtet.

Wenn ich fotografiere, dann passiert etwas anderes. Dann entsteht eine Beziehung zwischen mir und dem, was ich da fotografiere. Die Kamera verbindet mich mit der Welt. Mit einem Gegenstand und mit den Geschichten, die dieser Gegenstand erzählt. Davon, wie er wurde, was er ist. Oder auch, wie ich mir das so vorstelle natürlich. Der Impuls eine solche Beziehung herzustellen, der ist meist recht unmittelbar. Das bedeutet dann, dass ich die Kamera schnappe und abdrücke. Und mich eben darauf verlasse, dass das technisch alles schon so funktionieren möge. Daher nutze ich auch zu 99% meine kleine Kompaktkamera. Größeres Equipment ist mir da nicht schnell, nicht unmittelbar genug. Schließlich geht’s ja nicht um „das perfekte Bild“, sondern darum mich ganz fokussiert mit der Welt zu beschäftigen.

Es können ganz unterschiedliche Dinge sein, die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Schattenwürfe, Formen, Strukturen. Gestalt eben. Sie fesseln mich, fordern meine Assoziationskraft, wecken Erinnerungen oder funktionieren symbolisch. Es sind Momente, die, wenn ich ihnen auf einer Metaebene nachgehe, mich auch recht schnell bei der Semiologie landen lassen. Was ist ein Zeichen und in welchem Verhältnis steht dieses Zeichen zur Wirklichkeit. Und zur Welt natürlich auch.

Menschen kommen dabei kaum vor. Das ist eigentlich merkwürdig. Finde ich jedenfalls. Natürlich ist es schon so, dass ich eher introvertiert bin. Kein Partyzentrum. Und doch bin ich, beruflich zumindest, bühnenorientiert. Im übertragenen Sinne natürlich. Auch hauptsächlich mit Menschen beschäftigt. Aber das Menschenbild ist nicht meines. Menschen fotografieren ist für mich eine Herausforderung, meist eine Überforderung. Hier kann ich die Technik nicht einfach der Kamera überlassen. Gleichzeitig muss ich mich mit den Menschen gegenüber beschäftigen. Aufrichtig und offen. Ich muss dabei sowohl eigene Erwartungen managen, als auch die des Gegenübers. Eine Überforderung das alles gleichzeitig zu handeln.

In meinen Fotos finden sich wohl sehr konsequent meine persönlichen Augenblicke wieder. Es ist im besten Sinne subjektive Fotografie. Augenblicke im Sinne von Momenten heller und fokussierter Wahrnehmung, als auch ganz wörtlich, die Blicke aus meinen Augen. Dokumentarisch würde ich es nicht nennen. Aber schon weltbezogen. Die Kamera mit ihrer Programmautomatik ist mein persönlicher Notizblock.

Kommen in diesem Modell Betrachterinnen vor? Oder die Möglichkeit vielfältiger Bedeutungsentwicklung im Moment der Betrachtung (so wie ich es an vielen Stellen hier schon geschrieben habe)? Irgendwie ja schon. Weil, warum zeige ich das dann hier? Und doch auch wieder nicht. Schließlich sind Notizen ja eher persönlich. Aber warum schreibe ich dann hier?

Es fällt mir im Augenblick nicht so leicht die Funktion von Fotografie für mich zu bestimmen.


Fotografien von Bauschutt. Schichtkalk. Efeu. Notizen von einem Spaziergang im August 2020.

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