Nur eine Randnotiz. Und tatsächlich gehört es ja gar nicht zu meinem großen Interesse mich kommentierend über politische – oder wie hier mediale – Vorgänge zu äußern. Nicht, dass ich politisch desinteressiert wäre, ganz im Gegenteil. Aber ich muss mich hier politisch nicht positionieren.
Trotzdem spielt der Umstand seit Tagen immer wieder mit meinem Widerspruchsgeist; und dem gebe ich hier nun doch einen kleinen Raum. Nur am Rande – und auch nur in Form eine dürren Notiz:
Seit Tagen schon geistert der Begriff „Hochfahren“ durch die mediale Landschaft. Quasi als der Antagonist zum davor verwendeten „Shutdown“. Gemeint ist die Wiederaufnahme von Tätigkeiten und Verhaltensweisen, die ein gewohntes wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben wiederherstellen (könnte). Eingeengt: gemeint ist Produktion und Konsum. Was mich dabei beschäftigt, ist das Bild, das dieser Begriff suggiert: wer hätte dabei nicht die Vorstellung eines PCs oder eine Notebooks, vor dem man säße und dem man dann beim Starten zusehen könnte. Still und ruhig beobachten, wie in einer verlässlichen und deterministischen Art und Weise ein Zustand hergestellt wird, der technisch als Betrieb zu bezeichnen ist. Wir alle haben wohl diese oder eine vergleichbar bildhafte Vorstellung von dem Begriff „Hochfahren“ – und medial wird ein solches Bild gerade sehr bewusst genutzt.
An was ich mich dabei reibe ist die Frage in wie weit denn unser gesellschaftliches Leben eine Maschine ist? Ob wir denn derzeit tatsächlich „außer Betrieb“ sind? Ist das Hochfahren nicht eine Illusion darüber, dass wir als gesellschaftliches System in einer kontrollierten Art und Weise vielleicht sogar manipulierbar in einen Zielzustand zu bringen sind? Und dieser Zielzustand, ist das dann tatsächlich eine Maschine, die in Betrieb ist? Lassen sich Bildung, Forschung, Kultur, Gesundheit und nicht zuletzt das Gute Leben genauso wie Automobil-, Energie- und Bankenwirtschaft betreiben?
Mir widerstrebt es zutiefst von unserer Gesellschaft als einer Maschine zu denken. Genauso, wie es mir widerstrebt anzunehmen, wir wären derzeit „außer Betrieb“. Oder nach dem „Hochfahren“ tatsächlich „in Betrieb“. Zumindest ich verspüre das Kontrollierte und das Zahnradhafte eines Betriebs derzeit noch deutlicher als vor der Kontaktbeschränkung. Zu vielfältig, zu bunt, zu mehrdeutig scheinen mir die gesellschaftlichen Zusammenhänge, das kollektive und auch das individualistische Moment das millionenfach zu gesellschaftlichem Leben beiträgt, als dass Steuerung und Kontrolle hier ein sinnvolles Bild wäre. Mir persönlich wären Bilder lieber, die die Momente von engen Grenzen, welche sich erweitern suggerieren. Die das freie Atmen und Bewegen als Vision in den Vordergrund stellen. Ein gesellschaftliches Gleichgewicht (als dynamisch vibrierendes Zusammenspiel von vielen individuellen Mitgliedern) wird sich in einem solchen Rahmen von alleine einstellen.
Ich persönlich glaube, dass Vorstellungen zur Gestaltung von Zukunft sich nur in den Räumen entwickeln, die wir in den Köpfen haben. Und mir erscheint der Ausblick auf eine Zukunft in Termini von Maschinen deutlich limitiert (und ehrlich gesagt auch vergangenheitsbehafteter) als jener, der sich in sich erweiternden Grenzen (freier und entlang von systemischen Gleichgewichten) entwickeln kann. Das ist zumindest mein Empfinden.
Die Verwendung solcher Sprachbilder ist für mich ein schönes Beispiel dafür, wie mit Worten Bilder aufgerufen werden, die dann assoziative Räume aufbauen und darin ihre spezifische Wirkung entfalten. Framing halt.
Notiz Ende.
Thomas Rink
18 Apr 2020So etwas in der Art wollte ich in meinem Kommentar neulich zum Ausdruck bringen. Auch die derzeitige Krisenwahrnehmung ist etwas, das sich in unserem Kopf befindet, und durch Informationsaustausch mit unseren Mitmenschen (und Konsum von Massenmedien, was prinzipiell ähnlich ist) entstanden ist und befeuert wird. Es ist nämlich meiner Meinung nach keineswegs so, daß wir eine Gesellschaft als Summe von autonomen, der Ratio verpflichteten Individuen bilden, sondern wir sind auf vielfältige Weise mit unserer Umwelt verbunden, und diese mit uns. „Ich“ bin von den „anderen“ im Grunde nicht trennbar. Die Reduktion der Gesellschaft auf eine Summe von Individuen, eine Art Maschine, ist eine materialistische Weltsicht, der wir viele der derzeitigen Probleme verdanken, und die überdies falsch ist. Schlimmer und brandstiftender finde ich nur noch die sozialdarwinistische Betrachtungsweise, wonach die Individuen alle in Konkurrenz gegeneinander stehen.
Viele Grüße,
Thomas
Jürgen
19 Apr 2020Spannend, wie Sprache solche Bilder auslöst und wie sensibel wir als soziale Wesen dann doch auf vielleicht sogar gesteuerte Kommunikation reagieren. Die Sichtweise ist – denke ich – im Grunde ihres Herzens eine wirtschaftspolitische. Manche würden vielleicht auch neoliberale sagen. Aber ich denke in anderen Wirtschaftssystemen geht es ebenso so sehr um Profit als um gesellschaftlich relevante Werte. Und aus dieser Position heraus muss eine solche wirtschaftliche Sicht eine maschinenartige sein. Fürchte ich jedenfalls. Das ist der pessimistische Aspekt.
Aber vielleicht nehmen wir ja durch die Umstände doch ein bisschen mehr wieder „unwirtschaftliche“ Werte wahr. Wäre jedenfalls mein Wunsch (und Plädoyer). Und auch ein wenig meine optimistische Haltung in dem Ganzen.
Schönen Sonntag noch
Jürgen